Freitag, 14. Februar 2014

The rip-off / Strandleben

133. 12./13.02.2014

Trotz denkbar unbequemer Schlafposition (die Liege ist 1,50m lang) wache ich erst 20 Minuten vor der Endstation auf und treffe dort nach kurzer Zeit auf Lakshmikanth. Gemeinsam fahren wir die letzten 20km zu den Wasserfällen in einem Minibus. Von vornerein muss ich ihn enttäuschen, denn eigentlich hatte er vor, dort für eine Nacht mit mir zu bleiben. Aber erstens hat Vidya mich nochmals eindrücklich vor derartigem gewarnt (zurecht) und zweitens ist die Landschaft zwar spektakulär, aber nicht dermaßen, dass es eine Übernachtung rechtfertigen würde. Wir wandern ein wenig umher, trinken Kaffee und schießen Fotos. Lakshmikanth ist sympathisch, aber wie bei so vielen ist das Englisch bestenfalls mittelmäßig. Außerdem macht er einen ziemlich weinerlichen Eindruck (Anfang 20, unglücklich, mieser Job). Irgendwann beginnt er, mir die Geschichte seines Vaters zu erzählen, der einen schweren Unfall hatte und Geld für die Operation braucht, dass er nun irgendwie auftreiben muss, er als ältester Sohn kann schließlich nicht untätig zusehen. Ob ich nicht helfen könne?
Sicherlich, schön strukturiert aufbereitet mit einem Tag Abstand weiß jeder von euch genau, was das zu bedeuten hat. Aber zu dem Zeitpunkt hatte ich eben keine Distanz zu dem Geschehen und keine Zeit zum Reflektieren. Natürlich habe ich ihm kein Geld gegeben und auch alle sonstigen Hilfegesuche abgelehnt, aber anstatt der Alarmglocken ging mir nur ein Fragezeichen auf. Lakshmikanth, als Berufskleinkrimineller sicherlich auch ein wenig enttäuscht vom Verlauf des Tages (immerhin hätte er in einem Hotelzimmer alles mitgehen lassen können), muss sich also mit einem kindle und meinen Kopfhörern zufrieden geben, die er aus meinem Rucksack entwendet. Die Kamera wäre zu sehr aufgefallen, da ich sie oft benutze und alle anderen Wertsachen trage ich am Körper. Sein Plan geht insofern auf, als dass ich den Verlust erst bemerke, als es zu spät ist: Im Bus. Seltsamerweise antwortet er trotzdem auf meine SMS und hat außerdem Bilder von sich mit meiner Kamera geschossen. Wie bereits in anderen Fällen, in denen ich mich dämlich angestellt habe (z.B. vergessen, Rückgeld anzunehmen), ist es weniger der materielle Schaden von knapp 100€, der mich ärgert, sondern meine eigene Dummheit. Dementsprechend wenig hat Bastien, ein frankophoner Schweizer der ebenfalls nach Gokarna fährt, von mir. Macht aber nichts, da ihm von der Kurvenfahrt übel wird und er apathisch aus dem Fenster starrt. Später stellt sich heraus, dass wir beide jeweils gleich schlecht in der Muttersprache des anderen sind und machen daraus wir ein Spiel: Er redet auf deutsch mit mir, ich auf französisch mit ihm. So vertreiben wir uns die lang(weilig)e Busfahrt bis wir gegen sieben in Gokarna ankommen. Von dort sind es weitere zwanzig Minuten per Riksha zum Strand. Nach kurzer Zeit habe ich eine nette Unterkunft für mich gefunden und die Backpackerrestaurants sind sowieso über jeden Zweifel erhaben (und werden hier scheinbar noch von Locals geführt, oft versorgt von deren eigenen Bauernhöfen).

Der Folgetag ist bereits geplant, gemeinsam mit Bastien fahre ich nach Murdeshwar, 70km südlich, wo es eine gigantische Shiva Statue und den mir bisher einzigen bekannten Gopuram (Tempelturm) mit Aufzug gibt. Ob das 3 Stunden Anfahrt rechtfertigt ist eine andere Frage. So war ich immerhin beschäftigt und kam nicht in Versuchung ins Meer zu gehen. Ich habe momentan eine kleine, aber nervige Wunde an der Stelle vom Fuß, wo die Schuhzunge aufdrückt (mit denkbaren Konsequenzen) und will, dass sie hier endlich ausheilt.
Nach weiteren drei Stunden Rückfahrt sind wir zurück und gehen Abendessen. Währenddessen bekomme ich auf facebook eine Freundschaftsanfrage von Lakshmikanth, der überdies auf seinem neuen Titelbild mit meinem Kindle posiert und dabei so tut, als würde er auf dem Bildschirm tippen (ein kindle hat keinen touchscreen). Das könnte natürlich eine besonders hinterhältige Provokation sein. Zusammen mit der Handynummer, den Fotos und dem vermutlich echten Namen habe ich aber eine andere Theorie: Dummheit. Oder zumindest Unerfahrenheit. Ich glaube mittlerweile, der Typ hat einfach mal ausprobieren wollen, wie man einem Westler das Geld aus der Tasche ziehen könnte. Nachdem er rhetorisch nichts erreichen konnte, hat er sich eben auf einen Taschendiebstahl beschränkt. Aber dieses Nachspiel ist schon auffällig dämlich, fast schon wieder verdächtig.
Beim Abendessen lerne ich neben einer französischen Freundin Bastiens zwei Südtiroler kennen, die in Wien leben, sie Philosophiestudentin, er Filmcutter. Beide sind angenehm bodenständig und unesoterisch, außerdem echt witzig. Da wir festgestellt haben, dass wir in derselben Unterkunft angrenzende Zimmer bezogen haben, werde ich mit den beiden wohl noch mehr zu tun haben.
Jetzt muss ich nur noch überlegen, ob ich Lakshmikanth anzeige oder nicht. Er verlangt ja geradezu danach (Kriminelle sollten Beweismaterial viel öfter auf ihren Seiten in sozialen Netzwerken posten)...

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