130. 9.2.2014
Bangalore ist neben Dubai bisher die einzige Stadt, in der ich mir vorstellen könnte, für längere Zeit zu leben. Und im Vergleich zu Dubai ist sie sogar richtig liberal. Durch die boomende IT-Branche leben hier Expats aus aller Herren Länder und junge, hochgebildete Leute aus ganz Indien. Daraus ergibt sich ein herrliches Gemisch aus quirliger indischer Großstadt und internationaler Metropole. Frauen in Saris neben Frauen in Röhrenjeans, Glas-Stahl-Hochhäuser flankiert von Betonbruchbuden, Chaiverkäufer vor Coffee Day Filialen (das ist der hiesige Starbucks, relativ teuer, voll mit der jungen Mittelschicht und wirklich überall anzutreffen). Auch das Kulturprogramm ist beachtlich. Vormittags entdecke ich zufällig ein Kurzfilmfestival mit indischen Beiträgen. Zwei sehe ich mir an. Der erste handelt von einem Slumjungen, der sich eine Lochkamera gebastelt hat und mit seinem Freund auf der Suche nach Filmbarem ist. Der zweite dreht sich um das "hiring and firing" eines indischen Ingenieurs in den Vereinigten Staaten und wie dieser damit umgeht. Technisch einwandfrei und mit witzigem Konzept bleibt er aber doch recht blass im Vergleich zu Ika - Feather, dem ersten Film. Der zieht aus seine Kraft aus der Ruhe und erzeugt Emotionen mit einfachsten Mitteln und ohne Musik. Außerdem regt er zum Nachdenken an, wohingegen der zweite ein so versöhnliches wie unrealistisches Ende findet (für indische Kinos wäre Feather damit nichts, warum sollte man sich auch etwas anschauen, dass betroffen macht?).
Ich decke mich mit einem neuen Paar Schuhe ein (die von Sansibar entwickeln sich nach und nach zurück in ihre Rohmaterialien), bevor ich auf gut Glück zu einem empfohlenen Theater fahre und nach verfügbaren Karten frage. Die gibt es und das Stück "Dance like a man" ist auf Englisch, perfekt. Es wurde 1989 von einem Bangalorer geschrieben, behandelt die in Indien zwangsläufig viel krasseren Generationenkonflikte und hat damit den Nerv der Zeit getroffen, denn die Truppe spielt heute ihre 499. Aufführung. Verdientermaßen, kein Kitsch, kein bollywoodsches Happy End und sehr nahe an der Realität, wie mir meine Sitznachbarin Vidya bestätigt. Ich habe ein echtes Talent dafür, Bekanntschaften zu schließen, die mindestens doppelt so alt sind wie ich. Vidya ist nicht wie geschätzt Ende 20, sondern 39, hat in England Medizin studiert und ist unverheiratet und somit eine absolute Exotin in Indien außerhalb Bangalores. Hier dagegen scheint es tatsächlich schon eine Generation zu geben, die ihre Karriere über frühes Familien- und Kinderglück stellt. Da sie mir nach dem Theater anbietet mich zu einem Restaurant zu fahren, will ich sie zum Essen einladen. Sie dreht den Spieß allerdings um, bezahlt trotz vehementen Protestes die gesamte Rechnung und fährt mich auch noch zur passenden Bushaltestelle. Ich wollte heute eigentlich mal früher zurück sein, aber nach dem einstündigen Rückweg (Bangalore ist groooß) ist es doch wieder zwölf.
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