Mittwoch, 5. Februar 2014

Mittendrin statt nur Abteil

125. 4.2.2014

Angesichts der wenig interessanten Umgebung bleibe ich lieber länger im Bett, frühstücke endlich mal wieder indisch (Masala Dosa - Reispfannkuchen mit Kartoffel-Gemüsemischung) und möchte eigentlich zur Dinesh Beedi Company, um zu sehen, wie Beedis von Hand gerollt werden. Dort nimmt man zuerst keine Notiz von mir, obwohl ich durch die Burös schlendere, und teilt mir dann auf Nachfrage mit, dass die Herstellung in ausgelagerten Fabriken stattfände. Also weiter zum Fort, der einzigen echten Touristenattraktion Kannurs. Von den Portugiesen erbaut, wurde es von Holländern, Briten und dem indischen Militär mehrere Male ummöbliert und erinnert heute an die Zeit, in der ein paar Gewürze zu Reichtum und Macht genügt haben. Schöner als das halb verfallene Fort selbst ist seine Lage auf einer Halbinsel im Ozean. Hier begegne ich einem der vielen keralitischen Arbeitsmigranten, die in der Golfregion arbeiten, in diesem Fall als Ingenieur. Während er mit mir redet, steht seine Freundin schüchtern im Hintergrund. Selbst als ich nach ihrem Namen Frage, springt ihr Freund ein und nennt ihn mir. Wäre ja noch schöner, wenn eine Frau sich in ein Gespräch zwischen zwei Männern einmischen würde.
Wären der fehlende Schatten und die 32ºC nicht, ich hätte es dort ein paar Stunden ausgehalten. Den Rückweg trete ich zu Fuß an, was ich bald bereue, da meine Beine sich noch nicht von den 12km Joggen im Sand erholt haben. In einer Eisdiele mache ich eine kurze Pause, bevor ich zum Hotel zurückkehre, dusche, Zähne putze, packe und zum Bahnhof gehe. Im Nachtzug werde ich vermutlich keine Möglichkeit zur Körperhygiene haben. Morgen um fünf komme ich in Mysore an und verlasse damit Kerala. Sieht man vom schweißtreibenden Klima ab, war dieser Teil Indiens paradisisch. Kaum Armut, nette, des Englischen mächtige Menschen, schöne Strände und Palmen, Palmen, Palmen. Was bei uns Nadelwälder sind, sind hier die Palmwälder, eine Kokosnuss kostet 30ct.
Immerhin sehe ich jetzt wieder ein bisschen Indien, wie ich es mir vorgestellt habe. Die Strecke führt zuerst entlang der Küste durch viel Grün und immer wieder über breite Deltas hinweg, passenderweise mit Sonnenuntergang über dem Wasser. Ich fahre in der Sleeperklasse, wo sich die indische Mittelschicht tummelt. Ganz arm fährt nicht Zug, die weniger privilegierten fahren im General Coach, wo es weder Reservierungen, noch Schlafmöglichkeiten gibt. Nach oben geht auch noch einiges, im AC Bereich. AC 3- und 2-Tier sind der Aufenthaltsort für die obere Mittelschicht, 1. Klasse nur was für das eine Prozent. Um das ganze mal zu relativieren: Eine Nachtfahrt in der AC First Class kostet so viel wie ein Einzelfahrschein Bayreuth-Nürnberg. Obwohl AC kostenmäßig also durchaus drin wäre, habe ich Lust auf Abenteuer. 3€ für 13 Stunden Fahrt bei einem Schnitt von 38km/h.
Das Argument, nachdem man in den einfacheren Klassen eher mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt käme, hat für mich dabei eigentlich keine Rolle gespielt, weil man in Indien immer und überall, ob man gerade will oder nicht, mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt kommt. Doch neben vielen freundlichen jungen Männern  treffe ich dieses Mal einen interssanten Gesprächspartner. Das beste daran: Er ist zwölf. Das Kind spricht besser Englisch als sein Vater, als jeder andere, mit dem ich im Abteil gesprochen habe und vielleicht auch als ich. Seine Fragen sind außerdem intelligenter und kreativer als das, was ich sonst von 30 Jahre älteren Menschen höre.

"Which caste do you belong to?"
"I don't remember."
"Do you care much about religion?"
"No."

Endlich mal jemand, bei dem ich meinen Facebooknamen guten Gewissens aufschreiben kann, bin gespannt, wie sich der Junge entwickeln wird.
Um zehn gehe ich "schlafen". Mir steht ein upper berth zu, worüber ich ganz froh bin, weil so nicht jeder zuvor auf der Liegefläche saß oder an ihr lehnte. Bequem ist natürlich was anderes, aber immerhin kann ich einige Stunden schlafen, bis ich um fünf Uhr morgens in Mysore ankomme.

Foto 1: Sleeperwagen
Foto 2: Auch Lehrerinnen machen gerne Fotos mit ihrer Klasse und mir

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