Samstag, 1. Februar 2014

Klein aber oho

122. 1.2.2014

Nach ein wenig Umhergeschlendere zum Zeitvertreib verabschiede ich mich um 11 von Lars und nehme die Fähre von Fort Kochi nach Ernakulam, dem modernen, indischeren Stadtzentrum. Für hiesige Verhältnisse ist die Stadt mit 700 000 Einwohnern höchstens mittelgroß, hat aber durch den Hafen eine enorme wirtschaftliche Bedeutung. Das manifestiert sich in den westlichen Shopping Centern, Fast Food Ketten und der sich im Bau befindlichen Metro, die sonst nur die Millionenmetropolen haben. Als ich einen McDonalds erspähe, kann ich nicht widerstehen und probiere zwei (vegetarische) Burger. Das Argument, nachdem man in fremden Ländern doch gefälligst fremdes Essen probieren solle, zählt in diesem Fall nicht, da der indische McDonalds mit unserem nicht viel mehr als den Namen gemein hat. Mit Rind- und Schweinefleisch fallen zwei Hauptzutaten für die Burger weg, deswegen sind alle Fast Food Restaurants hier eigentlich wie KFC bei uns (und KFC ist am erfolgreichsten). Nach vier Monaten bin ich nicht mehr versessen darauf, möglichst nichts Gewöhnliches zu essen, sondern mische nach Lust und Laune indische, chinesische und kontinentale Küche.
Zur Abenddämmerung kriege ich schließlich eine Gratisvorführung in klassischem keralitischem Tanz in einem Stadtpark. Eine Studentinnengruppe übt dort mit ihrem Lehrer für ein Festival. Es scheint dabei weniger darum zu gehen, wie eine Bewegung aussieht, als was sie aussagt. Entsprechen perfekt und synchron müssen die Abläufe sitzen. Wie so häufig freut mich diese zufällige Entdeckung viel mehr als es jede durchgestylte Kathakali Touristenshow könnte. Es ist nicht so, dass Dinge besser sind, wenn sie nicht in einem Führer stehen. Sie kommen einem aber besser vor, wenn man sie selbst entdeckt, sei es ein toller, abgelegener Strand, ein günstiges, leckeres Restaurant oder ein ursprüngliches Stadtviertel.
Durch das Schaufenster eines Restaurants neben meinem Hotel erkenne ich auf dem Rückweg ebenso zufällig Karin und Micha beim Abendessen. Das fällt kürzer aus als geplant weil Micha die Suppe verschmäht ("Grauschleier"). Durch die beiden erfahre ich von einer Tempelprozession an diesem Abend mit Elefant und allem Brimborium. Ohne Micha, der Indien, glaube ich, nicht wirklich genießen kann, schauen wir uns das Spektakel an. Da wir die einzigen anwesenden Weißen sind, erhalten wir fast so viel Aufmerksamkeit wie das Ritual selbst. Ständig kommen Menschen zu uns und schenken uns Weintrauben, Rosinen und Kandiswürfel (die ich, nachdem ich sicher gegangen bin, dass sie nicht für Vishnu gedacht sind, auch gerne annehme und esse). Ob wir verheiratet sind? - Naja, komplizierte Sache, aber eigentlich nicht.
Ausweg aus allen kulturellen und sprachlichen Fettnäpfchen ist das gemeinsame Foto, danach kann man sich, ohne abweisend zu wirken, verabschieden.
Wieder einmal bin ich beeindruckt von der Größe eines Elefantenbullen, wenn man vor ihm steht, genauso wie von der stoischen Gelassenheit, mit der dieser Böllerschüsse, Fackeln, Menschenmassen und vorbeilärmende Motorräder erträgt. Um elf muss ich trotz allem zurück sein, weil das Eingangstor meines Hotels versperrt wird. Zum Abschied verspreche ich Karin, mal in Berlin vorbeizuschauen, erst recht, falls ich mit der Transsib zurückreisen sollte.

Foto 1: Sogar YouTube und Facebook haben hier Zweigniederlassungen.

Foto 2: Tempelefant

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