206. 1./2.5.2014
Der Weg zum Tilicho Base Camp auf 4150m ist atemberaubend, wortwörtlich und figurativ. Nachdem man in Khangsar das Ende der Stromversorgung erreicht, zieht er sich in Serpentinen den Hang hinauf und verläuft dort kilometerlang zwischen Klippen und Sturzbächen in einem Auf und Ab. Auf etwa 4100m sichten wir den letzten Baum und das Braungrau des Bodens wird endgültig zur dominanten Farbe. Joseph schlägt sich wacker, hat aber doch ein anderes Tempo, sodass wir häufig warten müssen. Auf halber Strecke treffen wir ein deutsches Ehepaar aus Pirnau, dessen Vorstellung von Urlaub darin besteht, mehrere Wochen in der Eiseskälte nepalesischer 5000er Pässe zu zelten, möglichst fernab von Menschen. Dafür trainieren sie bereits in Deutschland, indem sie beispielsweise im Winter im Garten übernachten. Dieses Mal haben sie den Tilicho Lake Pass überquert, der zu dieser Jahreszeit eigentlich als unpassierbar gilt. Hier, inmitten von Häusern und Wegen, müssen sie sich ziemlich langweilen. Von ihnen erfahren wir auch, dass der Dhampus Peak dieses Jahr wegen der Schneeverhältnisse noch absolut unbesteigbar ist und alle Expeditionen bisher abgebrochen werden mussten, die letzte per Hubschrauber. Mal sehen, was Temba dazu sagt.
In der Tilicho Base Camp Lodge, wo wir heute übernachten, treffen wir einige Leute, die bereits am See waren und Gruselgeschichten über Steinschlag und einbrechendes Eis zu erzählen wissen. Ein klein wenig nachdenklich gehen wir um neun zu Bett, das Frühstück ist bereits auf 5:30 Uhr vorbestellt.
Vermutlich der Höhe wegen habe ich einen ziemlich unruhigen Schlaf und bin sogar vor dem Wecker um fünf Uhr wach. Der Blick nach draußen verheißt nichts Gutes, Wolken überziehen den Himmel, die Berge verschwimmen in Grau. Da das Frühstück nun aber bestellt ist, versuchen wir uns in Optimismus. Tatsächlich, um sechs klart der Himmel auf und auch die anderen Trekker und Bergsteiger machen sich auf den Weg. Der ist zwar ziemlich anstrengend, kommt mir aber nicht vor wie 800 Höhenmeter. Auch die Steinschlaggefahr ist zumindest an diesem Tag nicht hoch, nur hin und wieder stürzen ein paar faustgroße Brocken an vorhersehbaren Stellen gen Tal. Nach zwei Stunden sind wir da, umgeben von weiß. Die Landschaft ist atemberaubend, nichts außer Schnee, Eis und Stein soweit das Auge reicht. Einziges Problem: Die Kälte. Gegen den eisigen Wind auf 5000m helfen keine gewöhnlichen Trekking- und Handschuhe. So müssen wir nach einer Dreiviertelstunde bereits wieder hinunter. Davor begegnen wir noch einem Chinesen, der extra früh und schnell hochgegangen ist, um sich seinen Traum von einem Nacktbild in einer Eiswüste erfüllen zu können. Den Beweis dafür zeigt er uns auf seiner Kamera. Komplett absprechen kann man dem Bild seine ästhetische Komponente nicht.
Auch der Rückweg gelingt problemlos in eineinhalb Stunden. Vom bisherigen Erfolg ermutigt, beschließen wir, noch heute weiter nach Shree Kharka oder gar bis Manang zurückzugehen, von wo aus wir am nächsten Tag bis nach Thorung Phedi unterhalb des Thorung La Passes gelangen würden. Der ebenfalls nicht ungefährliche Weg durch die Geröllhänge zieht sich in die Länge, sodass wir erst um halb fünf auf der Berghütte Shree Kharka ankommen. Doch irgendwie scheinen alle von Enthusiasmus ergriffen zu sein, Joseph denkt gar darüber nach, bis nach Yak Kharka zu wandern, wo er irgendwann gegen Mitternacht ankommen würde. Davon können wir ihn abbringen. Stattdessen begleiten wir ihn nach Khangsar, wo er mit den Chinesen vom Tilicho Lake übernachtet. Wir dagegen trauen uns in der einsetzenden Dämmerung auch noch die letzten paar Kilometer nach Manang zu, die sich als eine echte Belastungsprobe herausstellen. Mein Rucksack belastet meinen Rücken falsch, der Weg ist viel länger als in unserer Erinnerung und es beginnt zu regnen. Um halb sieben kommen wir ermattet in unserer ehemaligen Lodge an. Erst nach einem Kaffee und Apfelkuchen (für den der Annapurna Circuit zurecht berühmt ist) kehren die Lebensgeister und die Fähigkeit, mehr als Laute von sich zu geben, langsam zurück. Nach dem gelungenen Abendessen (obwohl ich vermutlich auch ein Kilo ungekochte Kartoffeln heruntergeschlungen hätte) geht es auf schnellstem Weg ins Bett, einem hoffentlich weniger zerstörerischen Tag entgegen.
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