Mittwoch, 21. Mai 2014

Indien

Nachdem ich ein letztes Mal, wenn auch nur für einige Stunden und in einem gänzlich unrepräsentativen Teil Indiens war, drängt es mich doch nach einem Abschluss. Wobei davon eigentlich keine Rede sein kann, ich bin mir noch nie so sicher gewesen, dass ich ein Land wieder besuchen werde. Rythem hat mich gebeten, Indien in einem Wort zu beschreiben. Da ich dazu nicht in der Lage war, bekam ich eine Frist von drei Worten gesetzt. Die ersten zwei waren "gegensätzlich" und "faszinierend", das Dritte steht noch aus. Im Gegensatz zu vielen anderen habe ich Indien immer in weltlichen, nie in spirituellen Maßstäben gesehen, was mir sicherlich Erfahrungen geraubt, aber ebenso ermöglicht hat. Ohne verklärenden Schleier: Indien ist in weiten Teilen ein vor Müll erstickendes Entwicklungsland, dem es trotz hohen einstelligen Wirtschaftswachstumsraten nicht gelingt, seine Bevölkerung aus Hunger und Armut zu befreien. Die Politiker sind korrupt, Gerechtigkeit gibt es nur gegen Geld und der widerliche traditionelle Hinduismus liefert eine philosophische Grundlage für die Ungleichbehandlung von Menschen und die Unterdrückung von Frauen. Die meisten Inder leben ihn.
Doch da ist eben auch die andere Seite des Landes und damit meine ich nicht farbenfrohe Saris oder die tiefsitzende Weisheit, die manch einer im runzligen Gesicht einer indischen Oma zu erkennen glaubt, sondern die jungen Leute, die in Bangalore, Delhi und Mumbai in den Bürotürmen und IT-Parks sitzen. Obwohl sie nach den Maßstäben ihres eigenen Landes reich sind, fehlt ihnen das elitäre Gehabe einer abgeschlossenen Oberschicht. Sie sind Leute wie du und ich, mit sehr westlicher Denkweise, aber trotzdem verankert in ihren Werten, zum Beispiel dem Zusammenhalt in der Familie oder der eher keuschen Grundhaltung. Sie sprechen hervorragend Englisch und waren für mich persönlich die sympathischsten Menschen, die ich bisher auf dieser Reise kennenlernen durfte. Nach wie vor stehe ich in Kontakt mit vier von ihnen, einer Onkologin aus Bangalore, zwei Studentinnen aus Pune und einer Finanzberaterin aus Delhi. Sie sind es auch, die Indien verändern wollen, denn die klassische hinduistische Mentalität ist eine passiv-erduldende (nur so vermeidet man die Ansammlung von Karma und somit eine Wiedergeburt in diese leidhafte Welt). Zahlenmäßig sind sie noch weit unterlegen und ein Koloss mit über einer Milliarde Menschen bewegt sich sehr gemächlich. Aber wie ein klischeehafter Inder in einem beschönigenden Indien-Hollywoodfilm sagt: "Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende." Das dritte Wort? Allumfassend.

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