Mittwoch, 21. Mai 2014

Frieren am Äquator

218. 18.05.2014

Selbst wenn wir uns hier mal vornehmen, früher nach Hause zu gehen, ist es magischerweise immer zwölf, wenn ich in unserem Zimmer auf die Uhr schaue. Dank Internet gibt es noch so viele Dinge, die man tun muss oder zumindest kann, dass ich kaum vor halb zwei zum Schlafen komme. Doch heute wird trotzdem beinhart um halb neun aufgestanden. Als wäre es nichts, ist Eva wieder mal eine Stunde vor mir wach und schreibt gnädig irgenetwas auf dem Ipad, anstatt mich zu wecken. Wir fahren die üblichen 45 Minuten Metro bis zur Marina Bay, während derer sich der Himmel immer dunkler färbt. Als wir aus der Station herauskommen, nieselt es. Kurzentschlossen läuft Eva los, es sind schließlich nur einige hundert Meter bis zu unserem Ziel, der Marina Bay Mall. Sie hat allerdings auch noch nie zuvor einen tropischen Regenschauer erlebt. Binnen Sekunden prasselt ein sintflutartiger Wasserschwall auf uns ein und bis wir den Eingang erreichen, tropfen unsere Haare. Die sonst angenehmen 19ºC in klimatisierten Gebäuden sind uns dementsprechend unwillkommen, eine Erkältung vorprogrammiert.
Ich muss mir ein neues Leinenhemd kaufen, nachdem der Vorgänger in Kathmandu derart diletantisch genäht wurde, dass ich auch ein Stück Tape auf den Riss hätte kleben können. Dem äußeren Erscheinungsbild wäre es nicht weniger abträglich gewesen. Als die Festung des Durchschnittsverdieners macht sich Zara auf zwei Stockwerken zwischen Pradas, Louis Vuittons und Bvlgaris breit und hat das Gewünschte für vergleichsweise günstige 50€ im Angebot. Den Umstand, dass ich bei der Anprobe klitschnass bin, übersieht der Angestellte mit singapurianischer Freundlichkeit.
Direkt vor den Einkaufsarkaden befindet sich das ArtScience Museum, in dem Genanntes kombiniert wird. Auch der Bau ist Kunst und Wissenschaft zugleich. In den auf einem etwa 15 Meter hohen Pfeiler fußenden, sich wie Pflanzen nach oben biegenden Stahlbetonstreben kann man am ehesten eine abstrahierte Hand erkennen. Darin jedenfalls findet zur Zeit eine Austellung von und über die berühmte Fotografin Annie Leibovitz statt, die Eva um jeden Preis sehen möchte. Ich kann ihre Bewunderung verstehen, Leibovitz schießt Fotos, die man gerne selber geschossen hätte. Nicht wegen der Stars oder der Schauplätze, sondern weil sie immer den richtigen Ausschnitt zum perfekten Zeitpunkt aus der besten Perspektive im vorteilhaftesten Licht einzufangen scheint. Was uns schließlich aus dem Museum treibt, ist die eisige Kälte, die durch Air Conditioning und nach wie vor nasse Kleidung entsteht. Abgesehen davon haben wir uns mit einem weiteren Couchsurfer, Yinan, verabredet. Wir treffen uns in Little India, von wo er uns durch die multikulturellen Viertel seiner Stadt führt. Die Briten verfolgten eine segregative Politik, deren Spuren heute in Little China, India und Arabia zu sehen sind. Hier finden sich auch die letzten Kolonialbauten in der ansonsten mit hohen Glasfassaden verkleideten Innenstadt. Angesichts der Grundstückswerte ein kleines Wunder. Yinan ist gebürtiger Chinese, aber hat 17 seines bisher 21 Jahre währenden Lebens in Singapur verbracht. Wenn er in zwei Wochen mit dem leidigen Militärdienst, der hier zwei Jahre dauert, fertig ist, wird er nach Cambridge gehen, um Jura zu studieren. Er mag Singapur, aber ein Leben lang in einer Stadt zu wohnen kommt für ihn nicht infrage. Nach einer dreistündigen Führung mit vielen Hintergrundinformationen (z.B. kostet die Zehnjahreslizenz für ein Auto gegenwärtig ca. 40 000€, mindestens noch einmal so viel wird man angesichts der 200% Steuern für seinen Wagen ausgeben müssen, von den horrenden Parkgebühren ganz zu schweigen) trennen wir uns wieder und wir gehen zu ColdStone, einer amerikanischen Eisdielenkette, die ich noch aus Dubai kenne. Neben "go big or go home" Größen bietet sie ein ziemlich einzigartiges Konzept, bei dem das Eis vor den Augen der Kunden mit einem Spachtel mit frei wählbaren Zutaten wie Früchten oder Kuchenteig vermischt wird. Wir bestellen einen undeutschen "Germanchokoladecake" und hetzen in Richtung Supermarkt, weil wir nur noch eine Stunde bis zum Beginn des Theaterstücks haben. Die Auswahl in dem Markt ist wie bei uns, doch das Preisniveau für Lebensmittel wahnsinnig, weil fast alles von weit her importiert werden muss (und die Leute es sich leisten können). Bei 4€ für 100 Gramm überlegt man sich zweimal, ob man Schinken wirklich braucht und 2,50€ für dieselbe Menge Butter (die billigste!) hinterlassen auch ein ungutes Gefühl. Hauptsache, wir schaffen es rechtzeitig zur Vorstellung und das tun wir. Problemlos findet sich noch ein Platz für zwei auf der Rasenfläche und schon beginnt das Stück mit einer Choreografie zwischen Tanz und Catwalk. Obwohl wir sicherlich nicht die kleinen Rafinessen und Wortspiele Shakespeares verstehen, fällt es doch erstaunlich leicht, der Handlung zu folgen und die Sprecher zu verstehen. Die Inszenierung ist modern-traditionell, als hätte man gerne modernes Theater aufgeführt und dann festgestellt, dass "Der Kaufmann von Venedig" ja in der frühen Neuzeit spielt. Am Ende sind wir uns trotzdem einig, dass das Stück sich für seinen naturgemäß hohen Preis gelohnt hat und ich bin voller Überzeugung, dass daselbe für mein Schinkenbaguette gilt.

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