89. 29.12.2013
Der Tag beginnt beschissen. Um die Ecke ist eine Kirche, die anscheinend kein Geld für Glocken hat und deswegen stündlich an polyphone Klingeltöne erinnernde Kakophonien zu jeder spielt. Darauf folgt die Anzahl der vollen Stunden, akustisch dargestellt durch einen Sirenenalarmton, sowie ein frommer Spruch. Normalerweise geht das erst später los, aber heute ist Sonntag. Außerdem ruft mich um acht ein freudig erregter Rezeptionist an, denn - alle Achtung - warmes Wasser steht zur Verfügung. Als ich um halb zehn Duschen will muss es wohl ausgelaufen, abgekühlt oder sonstwie abhanden gekommen sein. Sicherlich fragt sich der ein oder andere, warum mich diese Menschen noch nicht zur Weißglut oder gar Heimkehr gebracht haben. Es lässt sich schwer beschreiben, aber hier kriegt man, im Gegensatz zu mancher Situation in Kenia oder Tansania, nie das Gefühl komplett verarscht zu werden. Die Leute machen eher einen unvermögenden als betrügerischen Eindruck und wenn sie einem helfen können, tun sie es auch.
Mein Programm bestand eigentlich darin, mich von einem Jain, dessen für Europäer komplizierten Namen ich vergessen habe und den ich am Vortag kennen gelernt hatte, abholen zu lassen und etwas mit seinem Freundeskreis zu unternehmen. Leider meldet er sich bis in die frühen Abendstunden nicht, sodass ich mal wieder selbst die Initiative ergreifen muss und zum Nationalmuseum Tamil Nadus (der Bundesstaat, in dem ich mich befinde) aufbreche.
Während der Großteil der Ausstellungen die üblichen ausgestopften Tiere, Skelette und ärcheologischen Fundstücke sind, gibt es eine wirklich interessante Halle über traditionelle und vor allem moderne indische Kunst. Die Bilder sind fast ausschließlich an fremde Kunststile angelehnt, Erbe der verschiedenen Besetzungen durch Araber und Europäer. Nichtsdestotrotz gibt es einige sehr einfallsreiche Bilder, insbesondere, wenn die Maler auf mythologische Motive aus dem Hinduismus zurückgreifen.
Nach einem Intermezzo, seit dem mich eine halbe Schulklasse in Deutschland besuchen kommen will (es begann, wie so häufig, mit der Bitte um ein gemeinsames Bild), gehe ich shoppen. Zwangsweise, denn zwei meiner T-Shirts haben ihre beste Zeit hinter sich. Die westlichen Kleidermarken sind hier zwar günstiger, aber kosten natürlich noch ein Vielfaches heimischer Textilien. Aber ich bin nunmal ein Kind der Einkaufszentren, H&Ms und Jack & Jones und gebe letztlich für Vertrautes lieber ein bisschen mehr aus.
Das Abendprogramm gestaltet sich weit besser als erwartet, ich esse mit Konrad und Nicolas, einem weiteren Volunteer bei der WUDC (World University Debate Championship) in deren chinesischem Hotelrestaurant zu deutschen Preisen. Oder etwas mehr, hat jedenfalls göttlich geschmeckt. Man sollte meinen, dass ein Luxushotel in einer indischen Großstadt fremdartig wirken muss, aber das tut es gar nicht. Die Kontraste sind so allgegenwärtig, dass es sich gut in mein bisheriges Indienbild einfügt, wenn zwischen Gestank, Hägen Dasz Eisdielen und hungernden Obdachlosen eine Burg mit Zimmerpreisen ab 100€ steht.
Auf den Bildern sieht man das Lieblingshobby der neuen indischen Mittelschicht - sich gegenseitig vor irhendwas fotografieren. Alle drei Bilder sind innerhalb von 10 Minuten in einem Shoppingcenter zustande gekommen.
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