Freitag, 10. Januar 2014

Stadt am Meer

100. 10.1.2014

Wieder einmal holt mich blecherne indische Volksmusik um fünf Uhr aus dem Reich der Träume. Mein Bus nach Pondicherry geht allerdings um sieben und ich hatte mich zuvor auf diesen Wecker eingestellt. Ravi hat mich wissen lassen, dass es innerfamiliäre Probleme gäbe, deren Lösung seine Anwesenheit an diesem Wochenende erforderten und er folglich nicht nach Pondicherry kommen könne. Dafür bekundet er Interesse an Kathmandu im April. Ich bin ja mal gespannt...
Nach ein wenig herumirren und -fragen verläuft die Busfahrt reibungslos und ich komme um zehn in Pondicherry an, wo ich eine Unterkunft in einem Ashram Guesthouse finde. Das ist ein bisschen wie bei Klöstern: ordentlich, spartanisch, sauber und strenge Regeln. Von dort erkunde ich die Stadt, die mir spontan noch besser gefällt als Mahabalipuram. Ihr Herzstück ist die Uferpromenade mit einer Mahatma Ghandi Statue in ihrer Mitte. Von dort kommt man in den Ostteil der Stadt, der gänzlich unindisch, weil ruhig und gepflegt ist. Dort finden sich ein Park, Kolonialgebäude, Kunstgallerien und Restaurants jeder Art, besonders aber französische (Pondicherry war eine französische Enklave). Bestimmt fünf Stunden schlendere ich nur umher und sehe zwischendurch den Wellen beim Brechen zu. Dann treibt mich der Hunger erst zum Hotel (Geld holen) und dann wieder zurück zur Promenade auf der Suche nach Restaurants mit Meerblick. Die finde ich nicht bzw. zu teuer, aber dafür eine Inderin in westlicher Kleidung und alleine. Dazu muss gesagt werden, dass indische Frauen quasi nie alleine zu sehen sind und man(n) recht schwer mit ihnen in Kontakt kommt, weil sie von ihrer Familie / ihrem Mann "beschützt" werden. Man kann sich das in Deutschland wahrscheinlich gar nicht vorstellen, aber ein geschlechtlich gemischter Freundeskreis existiert hier nicht. Auf der Straße sieht man entweder Familien, Paare oder eben reine Männer-/Frauengruppen. Ich nutze also die seltene Gelegenheit und habe doppelt Glück, weil sie außerdem ausgezeichnet Englisch spricht. Sharanya ist Nachrichtensprecherin für Tamil Nadus Regionalsender (was immer noch 70 Millionen potentielle Zuschauer sind) und war wegen der olympischen Spiele (als Korrespondentin) und ihres französischen Verlobten schon mehrmals in Europa.
Sie erzählt auch, wie kompliziert es sein kann eine Frau zu sein in einem Land, in dem Augenkontakt von einem Mann als Anzüglichkeit verstanden wird (die es natürlich mit einer Anzüglichkeit zu beantworten gilt). Nach eineinhalb Stunden machen sich ihr Vater und mein Magen bemerkbar. Sie verabschiedet sich und ich suche mir noch ein Restaurant, dann eben ohne Meerblick. Dafür mit genialer italienischer Pizza aus dem Steinofen. Hier lässt es sich gut leben.

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