121. 31.1.2014
Beim Aufwachen friere ich - dieses Gefühl hatte ich nach dem Mt. Kenya beinahe vergessen. Dafür entschädigen der glasklar azurblaue Himmel und die saubere Luft ohne Geruchszusätze (in Indien eine Rarität). Um 8:30 Uhr sind Lars und ich am Busbahnhof, wo uns gesagt wird, dass der Bus nach Kochi (an der Küste) in fünf bis zehn Minuten kommt. Das rechne ich anhand der Erfahrungswerttabelle in 15 - 25 Minuten um und gehe mir noch einen Tee kaufen. Nun fallen zwei Katastrophen zusammen: Der Bus kommt doch und ich habe nur einen 500 Rs Schein (~6,20€). Kein Inder gibt auf solche Beträge raus, selbst wenn er (in einer rein fiktiven Parallelwelt) das dazu benötigte Wechselgeld hat. Geld ausgeben in Indien will gelernt sein, sonst steht man am Ende in einer solchen Situation mit böse dreinblickenden Teeverkäufern da.
1. 1000 Rs Scheine (die größten) werden nur zur Bezahlung von Hotel und Restaurants ab der Mittelklasse verwendet.
2. 500 Rs Scheine sind ebenfalls Restaurants und Supermärkten vorbehalten.
3. Bei 100 Rs wird das Spektrum schon sehr breit, nur bei Beträgen unter 20 Rs kann man einen bösen Blick ernten oder Kaubonbons anstatt von 1 Rs Münzen erhalten.
4. Wenn man den armen Kioskbesitzer mit seinem 500er schon um sein Kleingeld bringt, sollte man nicht den Fehler begehen und ihm in deutscher Manier die offene Hand in Erwartung des Rückgeldes entgegenstrecken. Das ist unhöflich und könnte außerdem zu Schmerzen in den Armmuskeln führen, denn Inder zählen mit unheimlicher Präzision und Geruhsamkeit alle zwei Scheine übersteigenden Beträge mindestens doppelt nach.
In meinem Fall geht alles gut aus, der Busfahrer winkt hektisch und der Teeverkäufer winkt ab, ich habe einen Chai geschenkt bekommen. Sechs aufrüttelnde Stunden später hat uns das heiß-feuchte Küstenklima wieder, wir sind in Kochi, Touristenhochburg Keralas. Das liegt an dem vielen historischen Gebäuden genauso wie an der ansprechenden Lage der Stadt vom Festland über mehrere Inseln verteilt. Im Endeffekt ist sie aber überbewertet, gerade in den ehemals wohl schönsten Vierteln sorgt der Tourismus dafür, dass vom einheimischen Leben nichts mehr bleibt. Dafür reihen sich im alten Judenviertel Atelier an Emporium an Organic Café an Souvenirshop. Hier trinkt man seinen Espresso zum Preis von 10 Kaffees am Straßenstand, während man landestypische Porzellanvasen und Teekreationen begutachtet. Ich bin keiner, der andere Touristen per se schlimm findet, weil die Umgebung dann ja nicht mehr "unberührt" und "ursprünglich" und "off the beaten track" ist, aber wenn die verbliebenen Einheimischen zum Großteil Westler zu irgendwelchen Shops oder in ihre Rikshas bugsieren wollen, dann fehlt dem Ort Atmosphäre, selbst wenn er noch so schön aussieht. Versöhnlicher stimmt mich erst der Rückweg vom Judenviertel zum Fort, bei dem keine hundert Meter von der Hauptstraße entfernt doch noch billige Restaurants und mich freudig grüßende indische Kinder auftauchen. Off the beaten track ist eben doch alles besser.