Freitag, 31. Januar 2014

Ausgetretene Pfade und Wechselgeld

121. 31.1.2014

Beim Aufwachen friere ich - dieses Gefühl hatte ich nach dem Mt. Kenya beinahe vergessen. Dafür entschädigen der glasklar azurblaue Himmel und die saubere Luft ohne Geruchszusätze (in Indien eine Rarität). Um 8:30 Uhr sind Lars und ich am Busbahnhof, wo uns gesagt wird, dass der Bus nach Kochi (an der Küste) in fünf bis zehn Minuten kommt. Das rechne ich anhand der Erfahrungswerttabelle in 15 - 25 Minuten um und gehe mir noch einen Tee kaufen. Nun fallen zwei Katastrophen zusammen: Der Bus kommt doch und ich habe nur einen 500 Rs Schein (~6,20€). Kein Inder gibt auf solche Beträge raus, selbst wenn er (in einer rein fiktiven Parallelwelt) das dazu benötigte Wechselgeld hat. Geld ausgeben in Indien will gelernt sein, sonst steht man am Ende in einer solchen Situation mit böse dreinblickenden Teeverkäufern da.

1. 1000 Rs Scheine (die größten) werden nur zur Bezahlung von Hotel und Restaurants ab der Mittelklasse verwendet.
2. 500 Rs Scheine sind ebenfalls Restaurants und Supermärkten vorbehalten.
3. Bei 100 Rs wird das Spektrum schon sehr breit, nur bei Beträgen unter 20 Rs kann man einen bösen Blick ernten oder Kaubonbons anstatt von 1 Rs Münzen erhalten.
4. Wenn man den armen Kioskbesitzer mit seinem 500er schon um sein Kleingeld bringt, sollte man nicht den Fehler begehen und ihm in deutscher Manier die offene Hand in Erwartung des Rückgeldes entgegenstrecken. Das ist unhöflich und könnte außerdem zu Schmerzen in den Armmuskeln führen, denn Inder zählen mit unheimlicher Präzision und Geruhsamkeit alle zwei Scheine übersteigenden Beträge mindestens doppelt nach.

In meinem Fall geht alles gut aus, der Busfahrer winkt hektisch und der Teeverkäufer winkt ab, ich habe einen Chai geschenkt bekommen. Sechs aufrüttelnde Stunden später hat uns das heiß-feuchte Küstenklima wieder, wir sind in Kochi, Touristenhochburg Keralas. Das liegt an dem vielen historischen Gebäuden genauso wie an der ansprechenden Lage der Stadt vom Festland über mehrere Inseln verteilt. Im Endeffekt ist sie aber überbewertet, gerade in den ehemals wohl schönsten Vierteln sorgt der Tourismus dafür, dass vom einheimischen Leben nichts mehr bleibt. Dafür reihen sich im alten Judenviertel Atelier an Emporium an Organic Café an Souvenirshop. Hier trinkt man seinen Espresso zum Preis von 10 Kaffees am Straßenstand, während man landestypische Porzellanvasen und Teekreationen begutachtet. Ich bin keiner, der andere Touristen per se schlimm findet, weil die Umgebung dann ja nicht mehr "unberührt" und "ursprünglich" und "off the beaten track" ist, aber wenn die verbliebenen Einheimischen zum Großteil Westler zu irgendwelchen Shops oder in ihre Rikshas bugsieren wollen, dann fehlt dem Ort Atmosphäre, selbst wenn er noch so schön aussieht. Versöhnlicher stimmt mich erst der Rückweg vom Judenviertel zum Fort, bei dem keine hundert Meter von der Hauptstraße entfernt doch noch billige Restaurants und mich freudig grüßende indische Kinder auftauchen. Off the beaten track ist eben doch alles besser.

Donnerstag, 30. Januar 2014

Gute Aussichten

120. 30.1.2014

Marion kriegen wir gar nicht mehr zu Gesicht, als wir um 7 Uhr morgens zum Busbahnhof laufen. Dafür hat sie uns einen netten Abschiedszettel hinterlassen und wünscht alles Gute. Wir ergattern die letzten Plätze in der hintersten Reihe in dem Bus nach Munnar. Eine halbe Stunde später wird klar, wie viel Glück wir hatten. Ich habe hier schon einiges an Gedränge und Überfüllung erlebt, aber dieser Bus, der sich uhrzeitlich als Schulzubringer anbietet, stellt alles bisherige in den Schatten. Die Menschen im Mittelgang verschmelzen zu einer homogenen Masse mit einer Vielzahl an Extremitäten, die sich an alles klammern, was Halt verspricht. Ich bekomme die Auswirkungen in Form von auf meinem Schoß abgestellten Rucksäcken zu spüren, bis der Spuk um 9 Uhr vorbei ist. Die Schule hat begonnen, von nun an teilen wir uns den Bus mit einer Handvoll Erwachsenen. Fünf Stunden brauchen wir für die landschaftlich atemberaubenden 110km.
Munnar dagegen wirkt, als habe man experimentiert, wie man den Eindruck einer malerischen Umgebung maximal konterkarieren könne. Bauruinen, Wellblech, Funktionsbauten in einem Tal auf 1600m, außenrum teeplantagenüberzogene, sanfte Hügel und wuchtige, grasbewachsene Berge (darunter auch die mit 2700m höchste Erhebung Indiens außerhalb des Himalayas). Kerala ist grün, von den dichten Mangroven über die Palm- und Bergwälder bis zu den Grasflächen in den höchsten Lagen. Wegen des Klimas gibt es keinen Flecken Erde, an dem nicht irgendetwas sprießen würde. Speziell um Munnar ist das, was sprießt, hauptsächlich Tee, 75 Tonnen der grünen Blätter werden hier täglich geerntet. Das lerne ich im Teemuseum, dass sich ansonsten allerdings größtenteils als Flop herausstellt. Viel schöner ist es da, einfach ein wenig durch die Landschaft spazieren zu gehen, wobei mich das natürlich schnell langweilt und ich mir den steilsten Hügel zur Besteigung erküre. Schnell bereue ich, dass ich erstens keine Kamera und zweitens meine sansibarianischen möchtegern Levi's Schuhe, die sich im Zustand der Auflösung befinden, dabei habe. Nachdem ich wieder heruntergestolpert bin, entdecke ich eine Hängebrücke für Fußgänger über den Talfluss und freue mich darüber sehr. Manchmal ist eine eigens gefundene Hängebrücke cooler als jede Touristenattraktion.
Abends gehen wir nochmal gemeinsam ins Stadtzentrum, wo es trotz absolut unindischer Temperaturen um 16 Grad einen Nachtmarkt gibt. Gegen die Kälte (sicherlich ein relativer Begriff für Leser aus Deutschland, die bei Minusgraden in ihren Häusern sitzen) hilft das ziemlich scharfe Essen der Straßenstände. Trotzdem halten wir es, verwöhnt wie wir sind, nur bis halb neun im Freien aus, bevor wir zum Hostel zurückkehren.

Beschäftigungsbeschaffungsmaßnahmen

119. 29.1.2014

Unser supernetter Hotelchef/Herbergsvater macht uns Frühstück, da die meisten Restaurants geschlossen sind. Währenddessen spiele ich mit seinem Sohn Badminton im Hof (Unterricht findet auch nicht statt) und stelle fest, dass ich schon besser war. Als Micha (einer der Berliner) einen unverschlüsselten Hotspot findet, gibt es kein Halten mehr, innerhalb von 15 Minuten sitzen alle mit Smartphone vor den Augen im nahegelegenen Café. Bei der Gelegenheit bringt Micha den Kellnern gleich noch bei wie man einen Latte Macchiato zubereitet.  Nachdem das menschliche Grundbedürfnis nach Internetzugang gestillt ist, brechen Karin, Micha und ich zu einer kurzen Wandertour auf einen der umgebenden Gipfel auf, wo wir, nach mäßig interessantem Aufstieg, Inder beim Cricketspielen vorfinden. Der Lärmpegel einer bestgelaunten Gruppe junger Inder nimmt ein wenig von der Beschaulichkeit, gleichzeitig ist es aber eine gute Möglichkeit, zu versuchen das Spiel zu verstehen und dabei durcheinander zu geraten. Auf dem Rückweg decken wir uns bei einem Streikbrecher mit Süßigkeiten und Wasser ein und sind um 17 Uhr wieder am Hostel. Ohne Marion, die in einem Anflug von Müdigkeit beschlossen hat früh essen zu gehen um früher schlafen zu können, streifen wir zu viert durch das wieder erwachte Kumily (der Streik ging von 6 bis 6) auf der Suche nach einem sauber aussehenden Restaurant. Da alle außer mir krank sind oder es bis vor kurzem waren kann ich diesen Wunsch sehr gut verstehen. Krank werden gehört für empfindliche Europäer zu Indien wie das Taj Mahal und lustiger englischer Akzent. Umgehen kann man das nur, indem man sich sklavisch an die Vorsichtsregeln hält, was zur Folge hat, dass man die kulinarische Seite des Landes verpasst.
Wohl auch deswegen sitzen später nur noch Karin und ich bei einem illegal gedealten Bier auf der Terasse. Endlich habe ich mal eine dieser sagenumwobenen jungen Kreativen Berlins vor mir. Sie ist selbstständige Modedesignerin in Neukölln und kann mir überdies noch Tipps für die Wohnungssuche in der Hauptstadt geben. Ich lerne in Indien mehr Deutsche kennen als in Deutschland. Um zehn ist schließlich Bettruhe, durch den Streiktag müssen die Zeitpläne nämlich etwas gestrafft und morgen der Bus um 7:30 statt 9:30 nach Munnar genommen werden.

Mittwoch, 29. Januar 2014

Streiklustig

118. 28.1.2014

Ich stehe alleine auf, denn alle anderen sind schon seit Stunden wach und unterwegs. Nach einem lecker-teuren Frühstück treffe ich Lars in unserer Unterkunft wieder, kurz darauf stößt Marion (die Südtirolerin) zu uns. Pläne für die Weiterreise werden geschmiedet und Zugverbindungen beratschlagt, bevor wir Mittagessen gehen. Danach besichtigen wir einen ayurvedischen Kräuter- und Gewürzgarten. Das ist weniger abgehoben als es klingt und ziemlich informativ, dort wächst von Ananas bis Yamswurzel so ziemlich alles was in deutschen Supermarktregalen steht. Unser Guide erklärt mit äußerster Fürsorge Pflanze für Pflanze und scheut auch vor Kontrollfragen zur Bestätigung des Lernerfolgs nicht zurück. Er ist dabei indisch im besten Sinne: nicht perfekt und gerade deswegen noch sympathischer. Mit Kakaopulver aus eigenem Gartenanbau machen wir uns auf den Rückweg, werden aber schon nach einem Kilometer von einem Elefantenrittveranstalter aufgehalten. Klar, das muss man mal gemacht haben. Zumindest Lars und ich sind dieser Meinung, Marion tritt den Heimweg an. Als ich auf dem Elefanten sitze, kriege ich Gewissensbisse, das Tier wirkt nicht gerade glücklich. Aber da das Erlebnis an sich nicht so toll ist wie ich es mir vorgestellt habe, werde ich mich mit diesem Dilemma in Zukunft wohl nicht mehr konfrontiert sehen. Abgehakt und gut.
Im Guesthouse erfahren wir, das die geplante Busfahrt nach Munnar am Folgetag einem Streik zum Opfer fällt. Die Suche nach Alternativen erübrigt sich, da es sich um einen Generalstreik handelt. Das bedeutet, weder Restaurants noch Geschäfte haben offen, Straßenblockaden werden errichtet und die Staatsmacht attackiert, sollte sie es wagen sich dem Volkswillen zu widersetzen. So drastisch das klingt, man kann es den ansässigen Keraliten nicht verdenken, geht es dabei doch um nichts geringeres als ihre Heimat. Kumily, der Ort in dem wir uns aufhalten, soll in das Periyar Wildschutzgebiet eingegliedert und seine Einwohner umgesiedelt werden. Würde mich auch ärgern meine Haus wegen ein paar Dutzend Tigern verlassen zu müssen. Wir arrangieren uns jedenfalls mit den gegebenen Verhältnissen bei ein paar Bieren und blicken einem (zwangsläufig) ziemlich entspannten Tag entgegen.

Dienstag, 28. Januar 2014

Das Wandern ist des Meisters Lust

117. 27.1.2014

Da wir uns nicht entscheiden konnten, ob wir einen Ganztagestrek oder eine Nachtwanderung im Nationalpark buchen sollten, haben wir uns einfach für beides entschieden. Das "Border Hiking", so genannt, weil der Weg an der Grenze von Tamil Nadu und Kerala verläuft, beginnt schon um acht Uhr morgens, hat aber glücklicherweise das Frühstück inbegriffen. Die ersten eineinhalb Stunden wandern ich und Lars (der Hamburger) gemeinsam mit zwei Guides, einer tschechischen Emirates-Stewardess und ihrem Freund, einem französischen Eventmanager (sein Akzent war so extrem, dass ich das nicht mit Sicherheit sagen kann), die beide in Dubai leben. Um halb zehn stößt ein londoner Rentnerehepaar zu uns, das eigentlich eine leichte Runde mit eigenem Guide gebucht hatte. Nun bekommen die beiden eine mittelschwere Ganztageswanderung in der Gruppe, nehmen es aber mit trockenem englischen Humor. Die Runde ist landschaftlich interessant, die Fauna ist, speziell nachdem man die Serengeti als Vergleich hat, mittelmäßig. Büffel, Antilopen, Affen, von Elefant und Tiger kriegen wir nur Ausscheidungen zu Gesicht. Aber das könnte später noch werden, von 22 Uhr bis 1 Uhr unternehmen wir einen dreistündigen Nachtausflug zu Fuß. Bis dahin wird sich ausgeruht, gegessen und selber Wäsche gewaschen, da hier "only washing AND ironing" - stellt euch den indischen Akzent vor - zum höheren Preis möglich ist.
Wir entdecken, dass Lars noch eine halbe Flasche Whiskey hat, die geleert werden will und suchen daraufhin bestens gelaunt nach Abendessen. Fündig werden wir in einem indischen Restaurant für Touristen, zumindest Lars und ich müssen aber auf Essen verzichten, weil die Zubereitungszeit bei einem Koch und zwanzig Gästen bei über einer Stunde liegt und wir noch die Nachtwanderung vor uns haben. Ich begnüge mich also mit Pommes und Zwiebelringen vom nächsten Fast-Food Imbiss.
Die Nachttour haben wir schließlich ganz für uns alleine und auch die Tiersichtungen fallen dieses Mal zahlreicher aus (Elefanten!). Tolles Erlebnis.

Sonntag, 26. Januar 2014

Strecke machen

116. 26.1.2014

Auch heute wird der Tagesablauf durch sehr gemächliches Fortbewegen bestimmt. Nachdem ich zum Frühstück herausgefunden habe, dass die Kinder-Joy Überraschungseier für 35Rs genau dieselben sind wie bei uns, komme ich gerade noch rechtzritig zur Fähranlegestelle zur Weiterfahrt nach Kottayam. Wegen der Wasserhyazinthenplage (die Pflanze ist ein echter Exportschlager, auf dem Viktoriasee in Afrika behindert sie die Schifffahrt nun schon seit 20 Jahren) ist die Endstation fünf Kilometer vor der eigentlichen Anlegestelle. Beim Warten auf den Local Bus zum Busbahnhof lerne ich eine bunt gemischte Schicksalsgemeinschaft kennen, die bereits am Vortag mit mir auf dem Boot von Kollam nach Alappuzha war. Sie besteht aus einem französischen Pärchen, einem Australier, einem hamburger Lehramtsstudenten, einer jobaussetzenden Südtirolerin und einem berliner Geschwisterpaar. Die letzteren vier wollen von Kottayam gleich weiter nach Kumily auf 1500m in den West-Ghats (diese Gebirgskette durchzieht Indien in Nord-Süd Richtung), ich schließe mich ihnen kurzerhand an. Die vierstündige Busfahrt bietet wunderschöne Aussichten und haarsträubende Abgründe. Nach erfolgreicher, wenn auch langwieriger Zimmersuche (einer der Nachteile, wenn man zu fünft ist) buchen ich und der Hamburger gleich zwei Wandertouren im angrenzenden Nationalpark für den Folgetag. Später am Abend sitzen alle im Guesthouse beisammen und beratschlagen den Folgetag. Dabei kommen wir auf unsere Altersunterschiede zu sprechen und ich staune nicht schlecht, der mit 13 Jahren Abstand Jüngste zu sein. Backpacker sind scheinbar alle jung geblieben, zumindest äußerlich.

Samstag, 25. Januar 2014

Hinterwasser

115. 25.1.2014

Um 10:30 Uhr fährt der Touridampfer in Kollam ab und tuckert acht Stunden gemächlich nach Alappuzha. Zu dem Tempo passen die wohlig-warme Temperatur und das gemütliche Treiben der Fischer um uns herum. Am Eindösen hindern mich nur die Menschen, die neben mir Platz nehmen. Ich habe mir zu Beginn einen Fensterplatz gesichert und der freie Sitz links von mir wird während der Fahrt im fliegenden Wechsel besetzt von einem schwedischen Abiturienten, einem australischen Rentner, einem indischen IT-Unternehmer und einem deutschen Esoteriker. Die Aufzählung sagt durchaus etwas über deren Sympathiewerte aus. Mit dem Schweden habe ich ziemlich viel gemeinsam, immerhin machen wir in derselben Phase unseres Lebens dasselbe, während ich bei dem Deutschen schnell bereue, überhaupt ein Gespräch begonnen zu haben. Wie die meisten Weltflüchtigen ist er ein netter Typ, bis ich ihn auf seinen Ashramaufenthalt anspreche. Die bizarre Mischung aus Hinduismus, Buddhismus, Metaphysik und Parawissenschaften würde ich ihm noch durchgehen lassen, schließlich kann jeder glauben, woran er will. Aber dazu kommt ein kaum verhohlenes Überlegenheitsgefühl gegenüber den unreflektierten, weltgebundenen Normalos. Mein Lieblingssatz von ihm über seinen Weg zur Erlösung:
"Ich werde passiert."
Ich habe es trotz allem geschafft, nicht kichernd Verbindungen zu Tomaten aufzustellen.

Ein Novum: Ich habe ein Zimmer vorgebucht. Die Agentur über die ich das Bootticket erworben habe, hat für 500Rs gleich ein Hotelzimmer inkl. Abholung mitorganisiert. Riesengroß und im Vergleich zu den vorherigen Zimmern klinisch sauber ist es sein Geld absolut wert. Außerdem gibt es hier einen superfreundlichen Hausmeister, der mich abholt, mir die Fährablegestelle für den nächsten Tag und später sein Lieblingsrestaurant zeigt. Wahrscheinlich nervt es längst, aber ich muss die Preise hin und wieder aufschreiben, um sie mir vor Augen zu halten. Für zwei Milchshakes, ein Omelett, ein Curry und zwei Fladenbrote zahle ich 140Rs (~1,75€).

Freitag, 24. Januar 2014

Es muss weitergehen

114. 24.1.2014

Man hört auf, wenn es am Schönsten ist. Das hat sich auf dieser Reise schon öfter bewahrheitet und bewährt und deshalb muss ich Varkala heute den Rücken kehren.
Aufgestanden wird früh, der Gedanke an das zu dieser Uhrzeit spiegelglatte Meer hilft dabei. Während des Tages dreht der Wind onshore und wühlt das Meer auf, doch zum Sonnenaufgang ist es makellos. Zwar gibt es auch jetzt die 2-3 Meter hohen Wellen, aber sie brechen mit einer beruhigenden Linearität und Gleichmäßigkeit. Zum ersten Mal seit drei Monaten komme ich am Strand bei den noch milden Temperaturen zum Joggen mit Schlusssprint ins Wasser. Als ich auf einer der beruhigend vorhersehbaren Wellen der über dem Kliff aufgehenden Sone entgegengleite wird klar, dass es nur noch schlechter werden kann. Nach einem ausgedehnten Frühstück mit nahtlosem Übergang ins Mittagessen checke ich aus und nehme den nächsten Bus nach Kollam, Ausgangspunkt für Backwatertouren. Die Backwaters sind ein verzweigtes System aus Kanälen, Seen und Mangroven, früher die landwirtschaftliche, heute die touristische Lebensader Keralas. Ein billiges Zimmer für eine Nacht ist schnell gefunden (da es für seinen Preis von etwa 4,40€ eigentlich zu groß ist, haben sich die Besitzer merklich Mühe bei der Vernachlässigung von Hygiene und Sauberkeit gegeben), ebenso eine Bootfahrt durch die Backwaters nach Alappuzha für den Folgetag.
Als ich auf dem Weg zu einem Restaurant die Hauptstraße Kollams entlanggehe, fallen mir wieder einmal die unzählige Juwelliere auf. Wie bei Matratzenlagern oder Spielhallen bei uns gibt es hier so viele davon, dass es jeder Marktlogik zu widersprechen scheint. Dazu kommt, dass sie die mit Abstand größten, pompösesten Läden besetzen, durchaus mit den Ausmaßen eines Hypermarktes oder kleineren Einkaufszentrums. Schon öfter hat mich einer ihrer Bauten inklusive des riesigen Frontschriftzugs in Erwartung einer Shoppingmall in ihre Nähe gelockt und dann enttäuscht. Doch zumindest heute lasse ich mich nicht täuschen  und finde ein echtes Shoppingcenter mit gutem Restaurant.

Sonnenuntergang in Varkala

Nicht von schlechten Eltern, diese Wellen

Gegensätze ziehen sich an: Hygienebeutel und Dreckloch

Bildmaterial

Minimalistisches Sitzdesign, made in India

Schulgruppe im Veli Tourist Park

Statue im Veli Tourist Park

Tempel in Trivandrum

An der Südspitze Indiens

Gigantische Vivekananda Statue auf einer vorgelagerten Insel, Kanyakumari, Südspitze

Farbig beleuchteter Tempel anlässlich Shivas Hochzeit mit Meenakshi

Donnerstag, 23. Januar 2014

Einfach gut

113. 23.1.2014

Es braucht nicht viel für einen gelungenen Tag. Ein abgefucktes Zimmer für 4€, billiges, gutes Essen und Meer reichen. Natürlich kein x-beliebiges Meer, ein bisschen Wellengang muss schon sein. Zusammen mit vielen anderen halb- und ganz Starken stehe ich über vier Stunden an der Stelle, wo sich die großen Wellen brechen, um mich darauf "treiben" zu lassen. Meistens wird man dabei unter Wasser gedrückt und umhergeschleudert, aber trotzdem macht es einen Heidenspaß und wird vor allem nie langweilig. Umso schwerer fällt es mir zum Sonnenuntergang aufzuhören um wenigstens einmal ein paar gelungene Fotos zu schießen. Später lerne ich noch ein schwedisches Pärchen auf Yogareise kennen und werde nach Stockholm eingeladen. Es braucht nicht viel für einen gelungenen Tag...

Mittwoch, 22. Januar 2014

Bureaucracy strikes back

112. 22.1.2014

Stell dir vor du wachst morgens auf und hast kein Internet. Endlich frei? Oder noch beschränkter ohne dieses Netzwerk aus Möglichkeiten und Ideen? Solche und ähnlich tiefgründige Gedanken gehen mir nicht durch den Kopf, während ich von Handyladen zu Handyladen laufe beim verzweifelten Versuch, Guthaben für meine SIM Karte zu bekommen. Airtel hat sich hier ein Beispiel am indischen Staat genommen und so lange Differenzierungen, Regeln und Ausnahmen eingeführt, bis die eigenen Mitarbeiter nicht mehr durchblicken. Nach etwa zwei Stunden habe ich tatsächlich das erforderliche Guthaben für ein neues Internetpacket beisammen und kann guten Gewissens an den Strand fahren. Die Busfahrt verbringe ich mit einem zugezogenen Berliner erster Generation und seinen Geschichten aus den Zeiten als die Hauptstadt spottbillig und das Berghain stockschwul (jetzt ist es höchstens noch latent homosexuell) waren. Varkala übertrifft meine Erwartungen. Ein abgeschotteter Sandstrand, umgeben von roten Sandsteinklippen, auf denen wiederum Restaurants und Guesthouses stehen. Das Publikum besteht aus Backpackern mit ersten Anzeichen der Pauschaltouristisierung und es ist kaum ein Inder auf Sightseeingtour (weiße Frauen im Bikini begaffen) auszumachen. Ein billiger Raum ist schnell gefunden, schließlich lockt das Meer. Von vier bis halb sieben bin ich pausenlos am Wellenreiten, der Sonnenuntergang aus dem Wasser ist da noch das abschließende i-Tüpfelchen. Zum Abendessen treffe ich mich mit einem chinesischen Buddhisten (der erste rucksackreisende Chinese überhaupt für mich), der Mönch werden will, was seine Familie nicht so toll findet, weswegen er sein Glück jetzt außer Landes versucht. Er zeigt mir ein paar Bilder von Nepal und Tibet, die meine Vorfreude nochmal wachsen lassen. Wenn das mit der Handykamera schon so geil aussieht, wie dann erst mit eigenen Augen?

Dienstag, 21. Januar 2014

Can I take picture?

111. 21.1.2014

Zum Frühstück gönne ich mir das Buffet des gegenüberliegenden 4-Sterne Hotels für 3,80€. Irgendwann gegen Mittag laufe ich zum Stadtpark, der außerdem einen Zoo und diverse Museen enthält. Wieder einmal kann ich kaum glauben mich auf indischem Boden, schlimmer noch, Stadgebiet zu befinden. Aufgeräumte, weitläufige Grünflächen und sogar die Tiergehege sehen einigermaßen zumutbar aus. Statt um Geld werde ich um Fotos gebeten, wobei das diplomatisch ausgedrückt ist. Normalerweise stellt sich jemand neben mich während sein Freund bereit das Smartphone vor meine Nase hält. Wahrscheinlich ist es hier schlimmer weil sich mehr Inder ein Smartphone leisten können. Wenn ich mal wieder einen westlich geprägten Inder treffe, muss ich ihn unbedingt fragen, was an einem pixeligen Foto mit einer vollkommen unbekannten Person (die nicht einmal vom anderen Geschlecht ist) so erstrebenswert ist.
Herausragendes passiert an diesem Tag nicht mehr, ich hätte locker auch heute schon weiterfahren können, aber Stadt und Unterkunft gefallen mir zu gut. So gehe ich abends zu KFC, die hier neben Hühnchen ein Menü nur für Vegetarier haben - Nachfrage schafft Angebot. So lecker die indische Küche ist, hin und wieder braucht man Abwechslung und sei es in Form einer Fastfoodkette. Morgen geht es dann weiter nach Varkala, Sonne, Strand und 31ºC.

Montag, 20. Januar 2014

Respect the moustache

110. 20.1.2014

Kerala ist anders. Menschenmassen und überfüllte Straßen gibt es hier zwar genauso wie in Tamil Nadu, aber da hört es mit den Gemeinsamkeiten auch schon wieder auf. Trivandrum hat Grünanlagen, saubere Straßen und Ampeln. Ich bin noch keinem Bettler begegnet und jeder kann wenigstens das bisschen Englisch das zur Verständigung notwendig ist. Hier hätte ich mal besser meinen Aufenthalt begonnen. Nach ein bisschen Stadt-Sightseeing fahre ich mit dem Bummelzug zum 8km entfernten Veli Tourist Park. Das ist eine Grünanlage am Meer mit großen Granitskulpturen. Ich kann es kaum fassen, nirgendwo liegt ein Obdachloser auf dem Rasen und der Müll ist tatsächlich in den dafür vorgesehenen Eimern. Zur Ruhe komme ich trotzdem nicht, da ich mit diversen Gruppen junger Männer und Schulklassen die "Which is your country? What is your good name? Can I take picture?"-Prozedur über mich ergehen lassen muss. Es muss etwas mit den blonden Haaren zu tun haben, von anderen Weißen (Männern zumindest) habe ich diese Stories noch nie gehört. Man muss sich nur immer wieder vorhalten, dass keiner nerven will sondern alle nur neugierig sind. Am Witzigsten verhalten sich dabei die Schulmädchen. Sie starren einen lächelnd an, bis man zurückblickt. Wenn man dann ebenfalls lächelt drehen sie sich zu ihren Freundinnen und kichern wie verknallte Teenager. Für die Jungs ist es dagegen eher eine Mutprobe den Weißen anzusprechen. Gemeinsam ist allen, dass sie einen unheimlichen Spaß an meiner bloßen Anwesenheit haben. So leicht wäre ich auch gerne zu begeistern.
Zurück in die Stadt geht es per Bus, vorbei an riesigen Werbeplakaten, die etwas typisch keralisches zu sein scheinen. Während die Frauen auf den Plakaten genauso gut in Deutschland hängen könnten, gilt für die Männer ein anderes Schönheitsideal. Eigentlich habe ich noch keines entdeckt. Die einzige und essenzielle Konstante ist der Schnauzer. Ob kugelrund und jovial, grimmig und entschlossen (Bollywood-Actionfilmplakat) oder nachdenklich und seriös, der Schnauzer ist der gemeinsame Nenner. Die einzigen, die von diesem Werbegesetz ausgeschlossen sind sind Weiße und smarte, junge Businesstypen (Haute Couture, Lifestyleprodukte). Ähnlich verhält es sich auf der Straße. Wer nicht zu jung ist oder generell westlich orientiert hat Haare zwischen Oberlippe und Nasenansatz vorzuweisen. Schade dass mein Haarwuchs derartiges noch nicht zulässt, ich würde zu gerne die Reaktion der Inder auf einen blonden Schnauzer sehen.

Sonntag, 19. Januar 2014

Vorbildlich

109. 19.1.2014

Den heutigen Tag möchte ich nutzen um ein weiteres indisches Phänomen des Typs charmant-aber-schwachsinnig vorzustellen: Das 24-Stunden System. Man muss nicht um 12 Uhr mittags aus seinem Hotelzimmer verschwinden, sondern eben 24 Stunden nach dem Check-in. Das ist vorteilhaft für den Kunden (wenn er nicht gerade per Nachtflug angekommen ist), aber schlecht fürs Geschäft. Ich verdanke diesem Umstand, dass ich heute in aller Seelenruhe ausschlafen und einen Kaffee mit zwei Israelis trinken kann bevor ich zum Busbahnhof laufe. Da Sonntag ist, fährt nur ein ultralangsamer Local Bus, der für die 90km nach Trivandrum in Kerala 3,5 Stunden braucht, und das auch erst nach eineinhalb Stunden Wartezeit.
Kerala ist das Vorbild unter den indischen Bundesstaaten. Die Alphabetisierungsquote liegt bei 94%, bei der Bevölkerungsverteilung gibt es einen Frauenüberschuss(!) und die Verkehrsteilnehmer halten sich manchmal an die Regeln(!!). Trivandrum (offiziell Thiruvananthapuram) ist die Hauptstadt und mit 900 000 Einwohnern für indische Verhältnisse beschaulich. Mit Aussagen über Lärm und Dreck halte ich mich bis Montag zurück, aber zumindest die Dichte an westlichen Marken im Stadtzentrum deutet auf einen gewissen Reichtum hin. Da die Preise für Hotels und Essen davon aber nicht betroffen zu sein scheinen, ist mir Trivandrum spontan sympathisch. Für eine Besichtigung ist es bei meiner Ankunft bereits zu spät, ich suche und finde stattdessen ein neues T-Shirt und esse keralisch. Das ist der einzige negative Punkt bisher: Die hiesige Küche ist wesentlich fisch- und fleischlastiger, während ich in Tamil Nadu schon gezielt nach nichtvegetarischen Restaurants hätte suchen müssen. Touristisch hat Trivandrum nicht viel zu bieten, aber falls sich die Stadt morgen genauso beschaulich zeigen sollte, verbringe ich ein Weilchen hier.

Samstag, 18. Januar 2014

Von jetzt an nordwärts

108. 18.1.2014

Was sollte man unbedingt machen wenn man von drei Seiten umgeben von Meer ist? Genau, den Sonnenaufgang anschauen. Mit Sonnenaufgängen verbunden ist leider zwangsläufig frühes Aufstehen. Nach einigem Suchen finde ich einen Platz am Strand, der nicht gänzlich von indischen Pilgern überfüllt ist und kann beobachten wie sich die Sonne beim Durchziehen der über dem Meer liegenden Dunstschleier von blutrot zu gelb verfärbt und sich das matte Leuchten zu einem stechenden Strahlen intensiviert. All das in höchstens drei Minuten, wirklich beeindruckend und äußerst fotogen. Auf Fotos müsst ihr trotzdem warten, mein Handy scheint langsam genug zu haben vom ständigen Wechseln der SD-Karten und das letzte was ich hier brauchen kann ist ein defektes Smartphone.
Mein gewiefter Plan war das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden und die chronisch überfüllte Fähre zu einer vorgelagerten Insel frühmorgens zu nehmen, wenn noch nicht so viel los ist. Dachte ich zumindest, die Warteschlange zieht sich durch den dafür abgesperrten Bereich über die angeschlossene Gasse und die folgende Nebenstraße auf die Hauptstraße, wo sie nach weiteren 50m verläuft. Desillusioniert hole ich noch etwas Schlaf nach bevor ich um zwei Uhr nachmittags einen weiteren Versuch starte, der besser gelingt. Eigentlich gibt es zwei Inseln oder besser, große Felsen im Meer, die die Fähre nacheinander ansteuert. Auf der ersten ist (Raten Sie: Ein Ufo / Ein Tempel / ein Konzertgelände), die zweite bildet das Fundament für eine gigantische Statue des indischen Philosophen Vivekananda, der auf ebenjenem Felsbrocken meditiert haben soll. Das Monument sieht aus wie die in Felsen geschlagenen Könige in "Der Herr der Ringe - Die Gefährten" und gibt der ganzen Szenerie etwas surreales. Zurück auf dem Festland streife ich noch ein wenig durch Kanyakumari und besuche außerdem ein Museum über Vivekananda, der für den Hinduismus das ist, was die Befreiungstheologie für die römisch-katholische Kirche (unter Vorbehalt). Nach dem Abendessen gönne ich mir im teuersten Hotel der Stadt das erste Bier seit zwei Wochen (kostet exakt so viel wie mein gesamtes Abendessen inkl. Getränke) und skype bis zur Heiserkeit.

Freitag, 17. Januar 2014

Kurz und bündig

107. 17.1.2014

Endlich mal ein Tag an dem wenig passiert und ich folglich wenig zu notieren habe. Nach einem frühmorgendlichen Tempelbesuch (ich muss gestehen, es war wirklich beeindruckend, die Tempel die ich besichtige, scheinen immer größer zu werden) und meinem Check-Out treffe ich nochmals einen der Schweizer, unterhalte mich längere Zeit mit ihm über unsere angepeilten Reiseziele und ein mögliches Wiedersehen und nehme schließlich eine Riksha zum Busbahnhof und von dort einen Bus nach Kanyakumari, der Stadt an der Südspitze des Subkontinents. Den Ort kann ich noch nicht beschreiben, weil die Fahrt sechs Stunden gedauert hat und ich dementsprechend im Dunklen ankam. Mehr morgen.

Für umme

106. 16.1.2014

Eine Sache, die einem Indien sympathisch macht, ist dass es viele Veranstaltungen gibt, die beinahe oder gänzlich umsonst sind. In Afrika war der Tod umsonst. Glaube ich, könnte mir auch vorstellen dass Tansania eine einmalige Ausfuhrgebühr für Särge erhebt. Es wurde einem jedenfalls unmissverständlich klargemacht, was von einem Touristen erwartet wird: Möglichst viel harte Währung im Land zurücklassen.
In Indien gibt es jetzt, zur Hochsaison (auch die Inder selbst reisen zur Zeit) in jedem Kaff ein Festival. Tempelfeste, Ausflüge, Tanzaufführungen, Museumsführungen usw. Mal von hoher, dann wieder von bescheidener Qualität. Trotzdem bereut man es bei Preisen zwischen 0 und 1€ kaum.
Heute fährt ein gecharterter Stadtbus eine Ladung Weißbrote von Madurai in ein benachbartes Dorf, wo sich junge Männer jährlich unter Beweis stellen können, indem sie sich so lange wie möglich an einen aufgestachelten Bullen hängen. Ich habe die Theorie, dass die vielen Zuschauer dieselben Gründe wie Formel 1 Fans bei uns haben. Das unterbewusste, voyeuristische Hoffen auf einen Unfall. Enttäuscht werden sie selten, dieses Jahr gab es bei den Veranstaltungen bisher 80 Verletzte. Fragt mich gar nicht erst, wie sich diese Tradition mit der Verehrung von Kühen vertragen kann. Weil dauerndes Hinterfragen und Besserwissen doof ist: Es war fraglos ein sehenswertes Spektakel.
In dem Touribus lerne ich einen Regensburger und zwei Schweizer kennen (alle prinzipiell alleinreisend) mit denen ich abends ein Tempelfest zu Ehren einer Götterhochzeit besuche. Zuvor gehe ich auf eigene Faust zum Ghandi Museum, wo man kaum etwas über Ghandi, aber viel darüber erfährt wie friedliebend, kämpferisch und generell überhammergeil Indien ist. Immerhim kostet der Eintritt dafür nichts. Die Riksha schon. Angemessen wären 60Rs (=75ct) gewesen. Der Fahrer versichert mir allerdings, das er einen Umweg nehmen müsse und verlangt deshalb nach langem Verhandeln 180 für Hin- und Rückfahrt. Als wir angekommen sind zeige ich ihm auf meinem Smartphone, dass wir gar keinen Umweg gefahren sind und biete ihm an, ihm jetzt 90 oder später 130 zu geben. Er lehnt beides ab und schmollt, ich kann ihm auch nicht helfen (bzw. will nicht, weil ich mir dann verarscht vorkäme) und nehme für den Rückweg eine andere Riksha (70 übrigens). Eine Stunde später habe ich vor meiner Zimmertür einen zutiefst aufgebrachten und beleidigten Rikshafahrer stehen, der seine 180Rs einfordert (ich habe ihm dummerweise auf der Hinfahrt bereits das Fahrtziel für den Rückweg genannt). Um ihn stehen zwei offensichtlich amüsierte Hotelangestellte. Der jammernd-schimpfende Tamilwortschwall endet erst als ich ihm 100Rs gebe und das Personal ihn darauf hinweist, dass er damit durchaus zufrieden sein könne.

Mittwoch, 15. Januar 2014

Auf Schienen

105. 15.1.2014

Laut Bahnticket fährt mein Zug um 7:15 Uhr ab. Trotz der vielen Geschichten über mehrstündige Verspätungen bin ich lieber mal pünktlich. Siehe da, der Zug ist es auch. Der schwerste Teil soll angeblich das Ausfindigmachen des eigenen Wagens sein, da die Züge um ein Vielfaches länger als unsere sind. Aber auch das klappt problemlos, gottseidank sind die Bezeichnungen nicht auf Tamil. In den Tageszügen mit Sitzwägen gibt es drei Klassen: AC Chair Car, Chair Car, 2nd unreserved. Die AC Klasse ist vergleichbar mit unserer zweiten und kostet etwa ein Fünftel davon. Den Luxus habe ich mir gegönnt und für die 160km umgerechnet 4,50€ gezahlt. In der Chair Class wären es 1,50€ gewesen und auch die ist noch annehmbar. Etwas gedrängter und ohne AirConditioning (im Sommer also nicht empfehlenswert), aber mit zugewiesenen Sitzplätzen und Reservierungen. Über die 2nd Class habe ich bisher nur den Kommentar: "Only for the brave." gehört.
Nachdem mein Reiseführer Madurai in höchsten Tönen lobt hatte ich mich schon auf einige Tage hier eingestellt. Aber unterm Strich ist das eine normale mittelgroße (1,2 Millionen Einwohner) Stadt mit schönem Tempel in der Mitte und etwas weniger Verkehr. Nachdem ich nach einer Dreiviertelstunde endlich ein Hotel mit vernünftigem Preis-Leistungsverhältnis gefunden habe hole ich erstmal Schlaf nach.
Den restlichen Nachmittag schlendere ich durchs Stadtzentrum. Man gewöhnt sich hier daran in neuen Orten zuerst ziellos herumzulaufen. Denn ehrlich gesagt sind die Tempel, Forts und Schreine nicht halb so interessant wie die Menschen darum und darin. Da der Tempel den gesamten Tag lang von einer Warteschlange geziert wird, sehe ich mir alternativ einen ehemaligen Herrschersitz an, der ausnahmsweise muslimische Architektur in sich trägt (anscheinend hat es mal einer der Moguln geschafft so weit gen Süden vorzudringen). Jeden Abend wird dort eine Geschichte als Hörbuch mit Lichtinstallation erzählt. Es dreht sich irgendwie um einen Kaiser wie toll er war und wie toll Tamil Nadu ist und es ist sehr konfus, aber das indische Englisch kann man glücklicherweise leicht überhören. Was bleibt ist ein imposantes Gebäude und eine gelungene Illumination.

Trichy

104. 14.1.2014

Verhandeln mit Indern macht keinen Spaß! Das wird mir wieder klar als ich die 1,5km zum Busbahnhof nicht laufen will. Kompromissbereit wie die Hamas in der Nahostfrage nennen sie einem einen unverschämten Preis. Wenn ich ihnen dann, nach langem wie nutzlosen Hin und Her (sie auf Tamil, das ich nicht verstehe, ich auf Englisch, das sie nicht verstehen) als letztes Angebot eine Summe biete die 50% über der angemessenen liegt, sind die meisten immer noch zu stolz/faul/dämlich um anzunehmen. So vergehen manchmal zwanzig nervenaufreibende Minuten, bis man eine Riksha gefunden hat bei der man sich nachher nicht über die eigene Nachgiebigkeit ärgert. Das anschließende Busfahren ist dagegen - hat man den Bus erst einmal gefunden - fair und unproblematisch. Als ich heute entdeckt habe, dass für die Weiterfahrt von Trichy nach Madurai noch Zugtickets zur Verfügung stehen, habe ich trotz der höheren Kosten im Vergleich zu Bussen zugeschlagen, mit der App wirklich kinderleicht. Hoffentlich geht es morgen früh am Bahnhof genauso einfach weiter.
Nach Ticketbuchung geht es auf zum Sightseeing in Trichy, das auch einen langen Namen hat seit die Inder die ungeliebten englischen Bezeichnungen ersetzt haben. Der ist aber so lange, dass er nicht einmal im offiziellen Sprachgebrauch genutzt wird. Zu sehen gibt es *trommelwirbel* - einen Tempel! Besser gesagt eine Tempelstadt. Nicht wie Tiruvannamalai, wo der Tempel das Stadtzentrum darstellt, vielmehr ist hier eine Stadt im Tempel gebaut worden, irgendwie müssen die innerhalb der sieben Ringmauern liegenden Areale schließlich gefüllt werden.
Obwohl der Hinduismus eine friedfertige und tolerante Religion ist muss man in den Stätten höllisch aufpassen. Manchmal darf man Schuhe tragen, oft nicht. Genauso dürfen manche besonders heiligen Schreine nur von Hindus betreten werden und nicht immer sind die Schilder gut sichtbar (oder auf Tamil). Da gefallen mir die Ghats, in den Reiseführern nur eine Randnotiz, besser. Die großen Tempel sind wie Freizeitparks bei uns, eine religiöse Attraktion jagt die nächste, überall Menschen, kaum Stimmung. An den nahegelegenen Stufen zum Flussufer ist alles etwas ruhiger und man kann sich einfach mal hinsetzen und die Menschen beobachten (und wird meistens neugierig zurückbeobachtet, das gilt hier nicht als unhöflich). Zum Abschluss der Tour besuche ich noch das Rock Fort im Zentrum der Stadt. Dort liegt ein riesiger Felsbrocken wie ein eingeschlagener Asteroid herum und darauf wurde nicht nur ein Tempel, sondern sogar eine stinknormale Aussichtsplattform gebaut. Die Landschaft im Süden Indiens ist ziemlich langweilig. Felder, Palmenwälder und Brackwasser. Umso interssanter sind die urbanen Landschaften von oben. Enge Bebauung, viele Farben und natürlich Menschen erschaffen einen chaotischen, faszinierenden Flickenteppich. Was sich LeCorbusier nur gedacht haben muss, als er mit Chandigarh versuchte, dieses Leben in westliche Stadtplanung zu pressen?

Dienstag, 14. Januar 2014

Temtalization

103. 13.1.2014

Ursprünglich wollte ich heute weiter, aber die Unterkunft ist viel zu bequem um nur eine Nacht dort zu verbringen.

Der statt dessen angesetzte Halbtagesausflug führt mich zu der "Stadt der Chola mit dem Wasser des Ganges". Wer dachte, die deutsche Sprache hätte lange Komposita, wird hier eines besseren belehrt. Der Stadtname auf Tamil enthält all diese Informationen in einem Wort (das ich vergessen habe). Hauptattraktion dort ist, na? Genau, ein Tempel. Irgendwann werden sie mir sicher fehlen, aber gerade freue ich mich auf Kerala mit seinen Stränden, Bergen und Mangroven anstatt von Tempeln, Kirchen und Tempeln. Am Nachmittag schaue ich mir einen Wasertank inmitten von Kumbakonam (dort, wo mein Hotel ist) an. Diese künstlich angelegten Seen mit der Treppenstufenumrandung kennt wohl jeder von Bildern aus Indien. Bevor man sie sieht, riecht man sie und als Europäer sollte man wahrscheinlich nicht mal das aufsteigende Kondensat einatmen. Faszinierenderweise waschen die Inder darin ihre Kleidung - und sie wird sauber!
Zurück im Hotel finde ich eine App, mit der man ohne große Umstände und übersichtlich Züge in Indien online buchen kann. Da die Eisenbahn hier vollverstaatlicht ist und bürokratisch mit einer Vielzahl von Quoten, Ermäßigungen und acht verschiedenen Klassen glänzt hatte ich mich schon gänzlich von ihr verabschiedet. Das einzige verbleibende Problem ist jetzt, dass die Züge teils Wochen im Voraus ausgebucht sind. Es soll aber angeblich Quoten für ausländische Touristen geben und wenn die nichts helfen, gibt es noch eine Quote für Spätkäufer.

Sonntag, 12. Januar 2014

Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?

102. 12.1.2014

Auch zum Frühstück treffe ich mich mit Chris, dem angehenden Lehrer für Englisch und Sozialkunde in Hamburg. Da die kommenden Tage westliches Frühstück betreffend nicht gerade rosig aussehen, gebe ich es mir nochmal hart und ganze 3€ aus, wofür ich ein bombastisches Menü mit Fruchtsalat, Müsli, Baguettes, Croissants, Kaffee und Saft bekomme. Gegen Mittag fahre ich dann weiter nach Chidambaram. Rein von der Atmosphäre hätte ich noch eine Woche in Pondicherry bleiben können, aber nach zwei Tagen gehen einem die Aktivitäten aus und bis man sich tatsächlich eingelebt hat (die Stadt kennt, erste einheimische Freunde findet usw.) dauert es mindestens zwei Wochen. So viel Zeit habe ich dann auch nicht.
Chidambaram ist als Zwischenstopp auf dem Weg nach Kumbakonam vorgesehen, weil es einen herausragenden Tempel im Stadtzentrum geben soll (Kommentar eines Australiers zu Tamil Nadu: "You're getting kinda templelized"). Die Besichtigung erledigt sich aber aus zweierlei Gründen. Erstens ist der Tempel geschlossen. Zweitens ist es mir auf dem halbstündigen Weg dorthin nicht gelungen, auch nur in einem der fünf aufgesuchten Hotels mein Gepäck abzugeben, obwohl ich Geld dafür angeboten habe. Dieses absolute Fehlen von Pragmatismus plus präziser Einhaltung schwachsinniger Regeln ohne Hinterfragen ist eines dieser Dinge, die Indien kompliziert machen. Durch Abstellen eines Rucksacks für zwei Stunden könnte das Hotel ein Fünftel des normalen Zimmerpreises verdienen. "Not possible, Sir." - "Why?" - "Not possible" + Kopfschütteln und -wackeln gleichzeitig, was so viel bedeutet wie "Nein, so gerne ich Ihnen helfen würde, aber Regeln sind Regeln."
Also ziehe ich unverrichteter Dinge ab, fahre nochmals drei Stunden Bus (Rechtsverkehr wird eine harte Umstellung für mich) und quartiere mich in Kumbakonam ein.

Kleiner Mann - na und?

101. 11.1.2014

Frühstück, umherschlendern. Ihr wollt das ja nicht jeden Tag im Detail nachlesen. Nennenswert ist auf meinen Streifzügen nur die lokale Papierfabrik in der alles noch manuell abläuft. Sie hat sich auf bestimmte, hochwertige Papiersorten spezialisiert, deren Produktion man mitansehen und die man im angeschlossenen Laden zu indischen Preisen erwerben kann.
Nachmittags nehme ich dann (zum ersten Mal überhaupt) an einer geführten Tour teil, die neben einer Kirche und einem Hindu Tempel auch das (ehemals) weltberühmte Auroville beeinhaltet. Die künstlich angelegte Stadt ist der feuchte Traum jedes Hippies. Harmonie, Gleichberechtigung, Selbstfindung. So schön das auch klingt, wie zu erwarten hat die Realität dazwischengefunkt und mittlerweile gibt es unter den Nachfahren der Gründer-Gurus erbitterte Grabenkämpfe während das Projekt Auroville vor sich hinvegetiert.
Auf dem Rückweg lerne ich einen deutschen Lehrer kennen, der nach Abschluss seines Referendariats zum fünften Mal Backpacken in Indien ist (er meint, es reiche jetzt auch. Aber ich glaube ihm nicht, das Land hat ihn). Wir gehen zusammen Abendessen und ich bekomme unzählige Tipps. Er macht auch nicht den Fehler mich von oben herab zu behandeln weil ich achtzehn bin. Indien ist wahrlich kein Reiseland für Abiturienten, die treiben sich alle in Australien, Neuseeland, Thailand und vielleicht noch Vietnam herum. Der jüngste Backpacker den ich hier bislang getroffen habe (sieht man von Familien ab) war 24. Aber von fast allen wird man behandelt wie ein Gleichaltriger. Nur ein paar der Weltflüchtigen (so nenne ich den Querschnitt aus Hippies, Sinnsuchenden, Esoterikern usw.) tadeln mich hin und wieder für meine unausgewogene, materialistische Weltsicht. Sie haben dabei eine sehr gelassene, großmütige Art, die bei mir gegenteiliges provoziert. Aber sieht man von ihrer moralischen Vermessenheit und dem Sinngeschwafel ab, bleiben es doch friedliche, nette Zeitgenossen.

Das Foto habe ich angehängt, damit ihr mal wieder ein paar Inder seht. Wenn ich herausgefunden habe, was sie sich davon erwarten, dass ich Bilder von ihnen auf meinem Handy habe, werde ich es hier ausbreiten.

Freitag, 10. Januar 2014

Stadt am Meer

100. 10.1.2014

Wieder einmal holt mich blecherne indische Volksmusik um fünf Uhr aus dem Reich der Träume. Mein Bus nach Pondicherry geht allerdings um sieben und ich hatte mich zuvor auf diesen Wecker eingestellt. Ravi hat mich wissen lassen, dass es innerfamiliäre Probleme gäbe, deren Lösung seine Anwesenheit an diesem Wochenende erforderten und er folglich nicht nach Pondicherry kommen könne. Dafür bekundet er Interesse an Kathmandu im April. Ich bin ja mal gespannt...
Nach ein wenig herumirren und -fragen verläuft die Busfahrt reibungslos und ich komme um zehn in Pondicherry an, wo ich eine Unterkunft in einem Ashram Guesthouse finde. Das ist ein bisschen wie bei Klöstern: ordentlich, spartanisch, sauber und strenge Regeln. Von dort erkunde ich die Stadt, die mir spontan noch besser gefällt als Mahabalipuram. Ihr Herzstück ist die Uferpromenade mit einer Mahatma Ghandi Statue in ihrer Mitte. Von dort kommt man in den Ostteil der Stadt, der gänzlich unindisch, weil ruhig und gepflegt ist. Dort finden sich ein Park, Kolonialgebäude, Kunstgallerien und Restaurants jeder Art, besonders aber französische (Pondicherry war eine französische Enklave). Bestimmt fünf Stunden schlendere ich nur umher und sehe zwischendurch den Wellen beim Brechen zu. Dann treibt mich der Hunger erst zum Hotel (Geld holen) und dann wieder zurück zur Promenade auf der Suche nach Restaurants mit Meerblick. Die finde ich nicht bzw. zu teuer, aber dafür eine Inderin in westlicher Kleidung und alleine. Dazu muss gesagt werden, dass indische Frauen quasi nie alleine zu sehen sind und man(n) recht schwer mit ihnen in Kontakt kommt, weil sie von ihrer Familie / ihrem Mann "beschützt" werden. Man kann sich das in Deutschland wahrscheinlich gar nicht vorstellen, aber ein geschlechtlich gemischter Freundeskreis existiert hier nicht. Auf der Straße sieht man entweder Familien, Paare oder eben reine Männer-/Frauengruppen. Ich nutze also die seltene Gelegenheit und habe doppelt Glück, weil sie außerdem ausgezeichnet Englisch spricht. Sharanya ist Nachrichtensprecherin für Tamil Nadus Regionalsender (was immer noch 70 Millionen potentielle Zuschauer sind) und war wegen der olympischen Spiele (als Korrespondentin) und ihres französischen Verlobten schon mehrmals in Europa.
Sie erzählt auch, wie kompliziert es sein kann eine Frau zu sein in einem Land, in dem Augenkontakt von einem Mann als Anzüglichkeit verstanden wird (die es natürlich mit einer Anzüglichkeit zu beantworten gilt). Nach eineinhalb Stunden machen sich ihr Vater und mein Magen bemerkbar. Sie verabschiedet sich und ich suche mir noch ein Restaurant, dann eben ohne Meerblick. Dafür mit genialer italienischer Pizza aus dem Steinofen. Hier lässt es sich gut leben.

Hoch hinauf

99. 9.1.2014

Bereits um fünf weckt mich traditionelle indische Musik aus dem nahegelegenen Tempel, die die nächsten eineinhalb Stunden Schlaf unmöglich macht, sich gegen halb sieben aber wieder legt. Das sei nichts besonderes und während des gesamten Januars der Fall erzählt mir der Rezeptionist. Kurzerhand verschiebe ich meine Aufstehzeit von sieben auf neun und lege mich nochmal schlafen. Nach einem späten Frühstück in der German Bakery mache ich mich an die Besteigung des Arunachala genannten Hausberges von Tiruvannamalai. In irgendeiner Weise verkörpert dieser 800m hochragende Berg Shiva, weswegen er auf der Heiligkeitsskala der Hindus ganz oben rangiert. Er macht einem die Besteigung jedenfalls nicht leicht, zum einen wegen der schweißtreibenden Temperaturen, zum anderen weil der gesamte Aufstieg nur aus Steilstufen am Übergang von steigen zu klettern besteht. Aufwärts gehe ich mit einer Japanerin, die seit 2,5 Jahren unterwegs und jetzt pleite ist und deswegen in Ashrams lebt. Oben treffe ich einen Amerikaner, der in Israel gearbeitet hat bis ihn seine Freundin verließ und der seitdem auf Sinnsuche ist und meditiert. Den Abstieg geselle ich mich zu einer Kasachin und einem Russen, die beide zu schlecht Englisch sprechen, als dass ich über ihre Hintergründe berichten könnte. Die Aussicht war phänomenal, da der Berg wie schon gesagt monolithisch in der Landschaft steht. Für alles andere fehlt mir der sechste Sinn, ich habe zumindest keine Energiestrombündelungen in der Erde gespürt.
Vor dem Abendessen gehe ich meinem neuen Hobby nach: Straßenszenen beobachten. Ein Kaffee kostet umgerechnet 20ct und ist ein wunderbarer Vorwand um sich hinzusetzen und den Farben, Menschenmengen, Straßenhunden, Rikshas, Motorrädern und Kühen zuzusehen.

Mittwoch, 8. Januar 2014

Routenführung

Falls sich jemand mal die bisherige Reisestrecke visualisieren möchte, bitteschön:

Bayreuth - Frankfurt -(Flug) Nairobi -(Flug) Eldoret 29 - Kitale 2 - Lodwar 1 - Eliye Springs 2 - Lodwar - Kitale - Kisumu 2 - Luanda K'Otieno -(Fähre) Mbita 1 - Mfangano Island 1 - Mbita - Homa Bay - Kisii 2 - Eldoret 3 - Kericho 2 - Naivasha 2 - Nairobi 3 - Naru Moru 2 - Met Station 1 - Mackinders Camp 1 - Met Station 1 - Naru Moru 1 - Nairobi -(Nachtbus) Mombasa 1 - Diani Beach 2 - Mombasa - Kilifi 2 - Mombasa 1 -(Tansania) Moshi 1 - Arusha 3 - Mto wa Mbu 1 - Serengeti 1 - Ngorongoro Krater 1 - Arusha 1 - Dodoma 1 - Morogoro 1 - Dar Es Salam 1 -(Fähre) Stone Town 3 -(Nachtfähre 1) Dar Es Salam -(Flug) Doha -(Flug) Dubai 3 - Abu Dhabi 2 - Dubai 2 -(Nachtflug) Chennai 11 - Mahabalipuram 4 - Tiruvanamalai

Die Zahlen stehen für die Übernachtungen. Bei Google Maps kann man Routen mit bis zu 32 Zwischenstopps anzeigen lassen, wem die Tipparbeit also nicht zu blöd ist...

Tempelstadt statt Stadttempel

98. 8.1.2014

Früh aufstehen ist für einen Berufsurlauber eine echte Herausforderung, doch heute zwinge ich mich dazu. Beim Frühstück treffe ich auf eine Familie aus Australien, die hier ein Waisenhaus aufgebaut hat. Von allen Nationalitäten erfüllen Australier die für sie geltenden Stereotypen am zuverlässigsten, fast alle lassen sich auf der Skala von Hillbilly nach Surfer einordnen.
Über Chengalpattu fahre ich nach Tiruvanamalai und entferne mich zum ersten Mal ein wenig von der Küste. Die Stadt ist sehenswert wegen des monolithischen Berges neben dem sie liegt, sowie wegen ihrer zentralen Tempelstadt, die seit knapp 1000 Jahren existiert und immer weiter ausgebaut wurde. Mindestens genauso interessant ist es für Nichtinder hier die Koexistenz von heiligen Kühen und Straßenhunden zu beobachten. Die Hunde haben zwangsläufig ein Gespür für den Verkehr entwickelt, dass das der Menschen in Deutschland übertrifft, während die Kühe das Geschehen um sie herum komplett ignorieren und sich gerne mal auf Hauptverkehrsstraßen zum Wiederkäuen hinlegen. Unruhig werden sie nur wenn ihnen die Hunde zu Nahe kommen, obwohl die das eher aus Neugier denn Jagdtrieb machen.
Das 3-Gänge Abendessen in einem Mittelklasserestaurant für (sogar hier billige) 2,50€ ist ein guter Abschluss für den Tag, morgen wird nämlich mal wieder berggestiegen und das macht man bei dem hiesigen Klima so früh morgens wie möglich.

Dienstag, 7. Januar 2014

Angenehme Stagnation

97. 7.1.2014

Der Tag steht unter dem Vorsatz nichts zu planen. Nach dem Frühstück gehe ich ins Meer und frage mich, wie ich das die letzten Tage nur so vernachlässigen konnte. Die Wellen sind noch etwas brachialer geworden, weswegen ich mir zum Spaß ein Surfbrett ausleihe und mich mit der Stilsicherheit eines Thomas Gottschalk ins Wasser begebe. Nach 40 Minuten wird das ziellose herumplanschen und umhergespült werden langweilig und ich beschließe eine Unterrichtsstunde zu nehmen. Wegen der (für Anfänger) schlechten Bedingungen wird diese jedoch erst auf später verschoben und dann abgesagt (was ich der Surfschule hoch anrechne, ich hatte damit gerechnet, dass sie mir zuschauen würden wie ich mich vergeblich abkämpfe und dann das Geld kassieren). Halb so schlimm, ich bin noch zwei Monate entlang einer Küste unterwegs. Dafür führe ich heute die Kamera spazieren (endlich frische Fotos!) und genieße das Nichtstun.

Zum zweiten Foto: Inder lieben Bilder mit Weißen. Oft sind sie nur ein höflicher Vorwand um ins Gespräch zu kommen, aber zumindest bei weißen Frauen gilt ein Foto auch als Trophäe. Es entstehen mitunter absurde Situationen, beispielsweise wurde ich von einer Gruppe junger Inder (ohne -innen) angesprochen, ob ich ein Foto von ihnen machen könne - ohne mich, aber mit meiner Kamera. Sie schauen es sich an, befinden es für gut und verschwinden.
Der ältere Herr auf diesem Foto hatte vermutlich Mitleid mit mir, weil ich alleine war und stellte sich kurzerhand für ein gemeinsames Bild mit seinem Sohn zur Verfügung.

Auf dem dritten Bild ist eine der Steinmetzarbeiten zu sehen. In diesem ornamentumrankten Ei ist ein ornamentumrankter Elefant in dem wiederum ein Elefant ist. Keine Ahnung, wie man so etwas aus einem Stein meißelt.

Entfernte Bekannte in der Nähe

96. 6.1.2014

Das lässige Flair Mahabalipurams ergreift langsam Besitz von mir. Warum soll ich weiterziehen wenn ich vor mir ein Strandparadies mit allen Annehmlichkeiten für 15€ am Tag habe? Zumindest ein paar Kilometer bewege ich mich dann doch. Die halbe Strecke zurück nach Chennai, wo Sriram wohnt, halbjährig Yogalehrer in Deutschland, die Wintermonate aber im warmen Indien. Meine Mutter kennt ihn, da sie Schülerin bei ihm war und hat mir vorgeschlagen, ihn zu treffen, in der Hoffnung, ich würde mich mit ihm auf Projektarbeit verständigen, anstatt blind drauflos zu reisen. Doch weit gefehlt, er unterstützt mich bei meinen Reiseplänen und gibt mir hilfreiche Tipps und Empfehlungen dafür. Zurück in Mahabalipuram schaffe ich es gerade noch vor Einbruch der Dunkelheit ins Meer zu springen, das heute glücklicherweise nicht voller Plastiktüten ist. Dort beschließe ich, dass ich diesen Ort unmöglich am nächsten Tag verlassen kann (ein Teeverkäufer schuldet mir noch einen und ich muss Fotos schießen!).
Beim Abendessen treffe ich auf ein älteres Paar aus Wales, das jeden Winter einen Monat einen Jahresurlaub der besonderen Art unternimmt, backpackend in Low-Budget Unterkünften. Das internationale Publikum hier ist eine bunter Querschnitt aus Urlaubern, Hippies, Weltflüchtigen, Backpackern und noch viel verrückteren Typen. Schade, dass man die meisten nur für ein paar Stunden trifft, sie hätten sicherlich viel zu erzählen.

1. Foto
Indische Körperpflege

2. Foto
Affen untersuchen eine Plastiktüte auf potentiell enthaltene Lebensmittel

Nachtrag 2. Januar

Tja, da habe ich wohl vergessen, einen Eintrag zu veröffentlichen. Dabei ist gerade der 2. Januar ein Schlüsseltag zum Verständnis meiner Persönlichkeit. Klar, dass er nachgereicht werden muss.

92. 2.1.2014

Ich toppe meinen Rekord im Spätaufstehen, das neue Hotel verlasse ich nicht vor 13 Uhr. Auf der Suche nach Frühstück ohne scharfe Kokoscrememischungen finde ich einen Laden mit einer riesigen Auswahl an indischen Süßigkeiten. Betonung auf süß. Mit genug schnellen Kohlenhydraten für eine Woche suche ich das letzte verbliebene Ziel aus dem Reiseführer in Chennai auf, eine Pilgerstätte etwas außerhalb, ausnahmsweise christlich. Lebensgroß nachgebaute Szenen aus dem Leben Jesu heißen die Gäste willkommen. Die Kirche ist auf einer Höhle gebaut in der der heilige Thomas einst gelebt haben soll (bis er von einem Brahmanen erstochen wurde). Unverkennbar sind die hinduistischen Züge der Anlage, was ihren Stil betrifft. Aber hier wirken die vielen Farben und plastischen Darstellungen nicht natürlich, sondern aufgesetzt.
Auf dem Rückweg schaue ich mir noch den Guindy Nationalpark an, der so sehr ein Nationalpark ist wie der Nürnberger Zoo. Die Tiere schauen alle ziemlich unglücklich und ihre Haltung alles andere als artgerecht aus. Aber zumindest die indischen Familien sind begeistert und fotografieren sich fleißig vor jedem sich bietenden Tier (im Notfall tut es auch ein Baum). Anstatt mit dem Zug zurück in die Innenstadt zu fahren, treffe ich mit einem aufdringlichen Rikshafahrer eine Abmachung. Ich gehe in zwei Läden, die ihm Komission für jeden angeschleppten Touri zahlen, dafür fährt er mich umsonst.
Am Abend ist Kino angesagt. Eigentlich wollte ich mir ja einen Bollywoodstreifen ansehen, aber nachdem ich die Bewertungen zum zweiten Teil der Panem Trilogie gesehen habe, habe ich das auf wann anders verschoben. Falls jemand wert auf meine Meinung legt: Sehenswert!

Montag, 6. Januar 2014

Leichen im Keller

95. 5.1.2014

100 Tage! So lange ist es nun her dass ich deutschen Boden verlassen habe. Zum Jubiläum gehe ich europäisch frühstücken in der German Bakery und daraufhin zu den riesigen Tempelanlagen, die Mahabalipuram überhaupt erst zu einem Touristenziel gemacht haben. Ganze Tempel inklusive Verzierungen sind aus dem Stein herausgemeißelt worden. Der Ort gilt folgloch auch als das Zentrum der Steinmetze in Indien. Die Kunstwerke, die sie für Touristen aus dem Speckstein meißeln, lassen selbst mich beinahe zum Souvenirkäufer werden. Sich hier in Beschreibungen zu ergehen bringt nichts, ich hänge lieber mal ein paar Bilder an.
Abends noch ein bisschen Kultur, denn jeden Januar findet in Mahabalipuram ein dreiwöchiges Festival mit traditioneller Musik und Tanz statt, dass sowohl von Touristen als auch Einheimischen besucht wird. Zu Trommelrhythmen tanzen Männergruppen in einer Art, die bei uns die Frage nach der sexuellen Orientierung aufwerfen würde. Aber da Homosexualität hier gesellschaftlich nicht existiert (man hat nichts gegen Schwule, man redet einfach nie darüber), macht das nichts.
Später lande ich im Restaurant vom Vortag, wo mir der Besitzer erzählt, dass der Holländer mit dem ich gestern am Tisch saß hier schon seit längerem festsitze, weil er vor zwei Jahren seine Frau ermordet hat und mit Mühe (und viel Geld) in Indien wieder aus dem Knast kam. Bei einem Ausreiseversuch würde er aber genau dort wieder landen. Eine Suche mit Google News bestätigt die Geschichte. Als er kurz darauf aufkreuzt, beobachte ich ihn natürlich besonders genau. Natürlich fällt mir nichts merkwürdiges auf, nicht mehr als am Vortag zumindest, aber dieser Zwang, nochmal selbst nachzuprüfen, dass einem so etwas unmöglich auffallen könnte, ist wohl ein menschliches Bedürfnis. Dann gehe ich auch relativ schnell, abgesehen davon, dass er ein Mörder ist, ist er nämlich auch ziemlich anstrengend und verlangt von allen volle, ihm zugewandte Aufmerksamkeit.
Außerdem habe ich tatsächlich etwas besseres zu tun: Ich muss ich mit ein paar Freunden in Deutschland skypen, die mich ab Ende Februar begleiten könnten.

Sonntag, 5. Januar 2014

Onseroad agän

94. 4.1.2014

Die Nacht war zu kurz, denn da ich am Vortag mit Nicolas (Konrads Zimmerkamerad) ausgemacht habe, dass wir um 10 gemeinsam nach Mahabalipuram fahren, muss ich um 9 Uhr aufstehen. Beim Versuch zum Taj Coromandel zu kommen ergeben sich Probleme aus der Verhandlungsmentalität der Inder im Gegensatz zu der der Kenianer. Dort konnte man, war der Preis nach Abschluss des Wortgefechts noch immer entschieden zu hoch, einfach weggehen und dadurch weitere 10 - 20% herausschlagen. Hier gilt der abgesprochene Preis, wer danach weggeht, um den wird sich gar nicht erst geschert. Das hat zur Folge, dass der eigene Startpreis noch niedriger angesetzt werden muss um ein hinnehmbares Ergebnis zu erlangen. Verhandeln ist eine Wissenschaft für sich.
Die Busfahrt verschlafe ich und verpasse so leider den Stadt-Land Übergang. Nachdem ich am Ortseingang abgesetzt werde unternehme ich eine Odysee durch die unzähligen Guesthouses die sich im Ort aneinanderreihen. Obwohl extrem touristisch, hat Mahabalipuram eine angenehme Atmosphäre. Nachdem ich ein vernünftiges Zimmer gefunden habe, geht es endlich mal nicht nur an den Strand, sondern tatsächlich ins Meer, wo man von meterhohen Wellen und Plastiktüten überschwemmt wird. Dort treffe ich auf eine Kanadierin, die seit Jahren durch Südasien reist und alleine in Indien schon 11 Monate verbracht hat. Mit ihr und einem Holländer, der Diamanten (niemals aus Afrika, darauf legt er Wert) selbstständig mit beträchtlichen Gewinnspannen nach Europa exportiert esse ich dann auch zu Abend. Beide haben interessante Lebensgeschichten. Er war in seinem Leben bereits Millionär und hätte wohl auch jetzt das Handwerkszeug dazu, lebt aber vergleichsweise bescheiden und arbeitet dafür kaum. Sie hat mit Mitte zwanzig (beide sind jenseits der dreißig) festgestellt, dass das 9 to 5 langweilig ist und ist seitdem abwechselnd Englischlehrerin und reist. In Kanada lässt sie sich nur alle paar Jahre blicken. Ich bin ziemlich beeindruckt, aber nicht einer Meinung mit ihnen. Beide meinen nämlich, ein normales Leben mit festem Wohnsitz und Anstellung sei grundsätzlich Blödsinn.

Erste Eindrücke

Indien ist eindeutig ein Fotoland. Selbst die hässlichen Seiten wie Slums und Müllberge sind noch exotisch, dass sie als Bild faszinieren. Von all den Tempelmotiven und bunten Menschenmassen ganz zu schweigen...

Samstag, 4. Januar 2014

Diskussionsstoff

93. 3.1.2014

Mit einem sehr ausgedehnten Frühstück starte ich diesen gänzlich ereignislosen Tag. Interessant wird es erst, als dieser in den Abend übergeht, denn heute ist das Finale der Debattierweltmeisterschaft. Nach einem Blick hinter die Kulissen wundert man sich, dass es so glatt über, bzw. überhaupt über die Bühne geht. Deutschland, genauer gesagt Berlin, gewinnt die Debatte in der ESL Klasse, welche die zweithöchste und für den Normaldeutschen die maximal erreichbare Liga darstellt (SL = secondary language). In der Königsklasse EP(roficient)L degradiert Harvard die Konkurrenz, sicherlich auch weil das Thema der Debatte "Indien sollte seine Wirtschaft einer radikalen Liberalisierung unterziehen" in ihr Fachgebiet fällt. Wer ein Lehrstück in Sachen freie Rede sehen will, sollte sich die beiden auf YouTube ansehen (ich gehe davon aus, dass die Aufnahmen wie letztes Jahr veröffentlicht werden). Dann gibt es Buffet und erneut Freibier, man lernt mal wieder Leute aus allen möglichen Ländern kennen (Russland, Polen, Indien, Simbabwe, USA) und schließlich reisen die ersten ab. Ich gehe in die Hotelbar, wo Konrad seiner neu entdeckten Leidenschaft als Barkeeper nachgehen darf und probiere den Gin-Basilikum Drink von dem er mir seit Wochen vorschwärmt für läppische 6€. Mit von der Partie sind Markus (den Konrad ebenfalls von der Kreation überzeugen konnte) und Verena, beide aus Deutschland und in der Organisation als Moderator und Motivator(in) tätig sowie mitverantwortlich dafür, dass die Veranstaltung nicht im Chaos versunken ist. Irgendwann gegen zwei fahre ich nach zähen Verhandlungen mit dem Rikshafahrer zu meinem Hotel.

Mittwoch, 1. Januar 2014

Silvester

91. 31.12.2013 / 1.1.2014

Wie sich das für ein vernünftiges Silvester gehört gehen die zwei Tage fließend ineinander über. Den letzten Tag des Jahres 2013 verbringe ich fast ausschließlich mit dem Versuch an bestimmte Alben und Lieder zu kommen, weil das Wlan der Unterkunft mal funktioniert. Ein bisschen lesen und packen und schon ist es sieben und ich fahre zur Express Avenue Shopping Mall. Nachdem ich bestürzt festgestellt habe, dass ich überhaupt keine guten Vorsätze habe, habe ich mich dazu entschlossen, die nächsten 2 Monate mal wieder vegetarisch zu leben, weil die gesamte südindische Küche sowieso fast fleischlos ist. Also muss ich an diesem nochmal zulangen und gehe zu PizzaHut. Etwas später, so gegen halb zehn, mache ich mich auf zum Taj Coromandel, wo die Silvesterparty der WUDC stattfindet. In einer großen Halle beginnt der Abend um halb elf mit Smalltalk an Stehtischen, entwickelt sich bis zwölf zu einer handfesten Party und endet um zwei. Indische Nachtclubs schließen zur selben Zeit und dass Neujahr ist scheint sie dabei nicht zu stören. Viele der Studenten umso mehr und so gibt es einige Hotelzimmerpartys auf diversen Etagen. So viele Nationalitäten an einem Abend habe ich noch nie kennengelernt. Smalltalk mit einem Ami, dann plötzlich auf Deutsch, tanzen mit einer Inderin, daraufhin lerne ich ein HongKong-Chinesen kennen, kurz danach eine Bangladescherin, bevor ich in einem Zimmer mit kiffenden Indern sitze und einer Pakistanerin das Studium in Berlin erläutere und mich mit einem deutschen Unternehmensberater und einem irischen Banker über die unterschiedlichen Philosophien hinter den jeweiligen juristischen Systemen austausche. Zum Morgengrauen entdecken wir, dass der Pool bereits geöffnet ist (oder zumindest benutzt wird) und gesellen uns zu den Badegästen. Um sieben beginnt das Frühstück und kurz darauf bin ich zurück in meiner Unterkunft. Es war eine echt komische Situation mit Elitestudenten geheime Zimmerpartys zu feiern als wären wir gerade 14 und auf Sommerausflug in einer Jugendherberge. Und obwohl mir gesagt wurde, dass sich durchaus arrogante Schnösel unter den Teilnehmern befinden, hatte ich das Glück nur auf sympathische, auf dem Boden gebliebene Studenten bzw. Berufsanfänger zu treffen.
Dummerweise habe ich den Check-Out auf den 1. Januar gelegt, kann also nur drei Stunden schlafen, bevor ich packen und umziehen muss. Das neue Hotel ist nicht einmal besser, aber kostet nur 50% des bisherigen und liegt im Zentrum. Dort angekommen setze ich meinen Schlaf ohne Umschweife fort. Um halb sechs abends treffe ich mich schließlich mit Ravi, der mich zu Freunden mitnimmt. Ravi spielt auf dem Klavier vor und wir gehen gemeinsam essen. Die Familie die wir besuchen würde ich fast schon zur Oberschicht zählen, zumal sie enorm gut Englisch sprechen. Am besten spricht lustigerweise die Großmutter, bei der man keinerlei indischen Akzent vernimmt. Nach dem Essen fahren Ravi und ich heim und der unterbrochene Dauerschlaf wird über Nacht fortgesetzt.

Zeit totschlagen

89. 29.12.2013

Der Tag beginnt beschissen. Um die Ecke ist eine Kirche, die anscheinend kein Geld für Glocken hat und deswegen stündlich an polyphone Klingeltöne erinnernde Kakophonien zu jeder spielt. Darauf folgt die Anzahl der vollen Stunden, akustisch dargestellt durch einen Sirenenalarmton, sowie ein frommer Spruch. Normalerweise geht das erst später los, aber heute ist Sonntag. Außerdem ruft mich um acht ein freudig erregter Rezeptionist an, denn - alle Achtung - warmes Wasser steht zur Verfügung. Als ich um halb zehn Duschen will muss es wohl ausgelaufen, abgekühlt oder sonstwie abhanden gekommen sein. Sicherlich fragt sich der ein oder andere, warum mich diese Menschen noch nicht zur Weißglut oder gar Heimkehr gebracht haben. Es lässt sich schwer beschreiben, aber hier kriegt man, im Gegensatz zu mancher Situation in Kenia oder Tansania, nie das Gefühl komplett verarscht zu werden. Die Leute machen eher einen unvermögenden als betrügerischen Eindruck und wenn sie einem helfen können, tun sie es auch.
Mein Programm bestand eigentlich darin, mich von einem Jain, dessen für Europäer komplizierten Namen ich vergessen habe und den ich am Vortag kennen gelernt hatte, abholen zu lassen und etwas mit seinem Freundeskreis zu unternehmen. Leider meldet er sich bis in die frühen Abendstunden nicht, sodass ich mal wieder selbst die Initiative ergreifen muss und zum Nationalmuseum Tamil Nadus (der Bundesstaat, in dem ich mich befinde) aufbreche.
Während der Großteil der Ausstellungen die üblichen ausgestopften Tiere, Skelette und ärcheologischen Fundstücke sind, gibt es eine wirklich interessante Halle über traditionelle und vor allem moderne indische Kunst. Die Bilder sind fast ausschließlich an fremde Kunststile angelehnt, Erbe der verschiedenen Besetzungen durch Araber und Europäer. Nichtsdestotrotz gibt es einige sehr einfallsreiche Bilder, insbesondere, wenn die Maler auf mythologische Motive aus dem Hinduismus zurückgreifen.
Nach einem Intermezzo, seit dem mich eine halbe Schulklasse in Deutschland besuchen kommen will (es begann, wie so häufig, mit der Bitte um ein gemeinsames Bild), gehe ich shoppen. Zwangsweise, denn zwei meiner T-Shirts haben ihre beste Zeit hinter sich. Die westlichen Kleidermarken sind hier zwar günstiger, aber kosten natürlich noch ein Vielfaches heimischer Textilien. Aber ich bin nunmal ein Kind der Einkaufszentren, H&Ms und Jack & Jones und gebe letztlich für Vertrautes lieber ein bisschen mehr aus.
Das Abendprogramm gestaltet sich weit besser als erwartet, ich esse mit Konrad und Nicolas, einem weiteren Volunteer bei der WUDC (World University Debate Championship) in deren chinesischem Hotelrestaurant zu deutschen Preisen. Oder etwas mehr, hat jedenfalls göttlich geschmeckt. Man sollte meinen, dass ein Luxushotel in einer indischen Großstadt fremdartig wirken muss, aber das tut es gar nicht. Die Kontraste sind so allgegenwärtig, dass es sich gut in mein bisheriges Indienbild einfügt, wenn zwischen Gestank, Hägen Dasz Eisdielen und hungernden Obdachlosen eine Burg mit Zimmerpreisen ab 100€ steht.

Auf den Bildern sieht man das Lieblingshobby der neuen indischen Mittelschicht - sich gegenseitig vor irhendwas fotografieren. Alle drei Bilder sind innerhalb von 10 Minuten in einem Shoppingcenter zustande gekommen.