236. 6.6.2014
Die Fahrt war dann doch weniger schlimm als erwartet ("worst roads! you won't find sleep at all!"), sechs Stunden habe ich mindestens geschlafen. Etwas verdutzt sind wir, als wir um halb fünf plötzlich vor die Tür gesetzt werden - scheinbar sind wir da. Vorgebucht hat niemand und so schauen wir auf gut Glück in die erstbesten Hotels. Das eine ist geschlossen, im anderen gibt es noch kein freies Zimmer. Wenn ich etwas über das nachts Ankommen gelernt habe, dann dass man sich Zeit lassen sollte. Da Eva und mir das Hotel sehr gut gefällt, bestellen wir Kaffee und lesen zwei Stunden, bis wir ein frei gewordenes Zimmer zugewiesen bekommen, während die anderen im mittlerweile geöffneten Haus gegenüber fündig geworden sind. Kaum geduscht und umgezogen werden wir von einem lokalen Guide informiert, dass eine der berühmten Begräbniszeremonien der Toraja heute stattfinden würde. Obwohl wir alle sicherlich lieber noch ein paar Stunden Schlaf nachgeholt hätten, überwinden wir uns dazu mitzukommen, da dies unsere einzige Chance ist eine Bestattung zu sehen. Mit Motorroller unter und Eva hinter mir fahre ich in der Kolonne auf einen nahegelegenen Hügel, wo die Rituale auf dem Grundstück der Familie des Verstorbenen durchgeführt werden. Wobei man bei Ritual zuerst an etwas mystisches, transzendentes denken würde. Wenn dem so wäre, müssten Schlachthäuser äußerst spirituelle Orte sein, denn aus meiner Perspektive als weißer Westler hat sich der Innenhof in ein Schlachtfeld verwandelt. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen, der Platz ist über und über bedeckt mit Gedärmen, in Blut und Scheiße getränkt und hier und da thronen Rinderköpfe mit etwas roter, glitschiger Wirbelsäule daran. Außenrum liegen verängstigte, an Bambusstäben fixierte Schweine und harren ihrer Schächtung. Wohlstand wurde und wird bei den Toraja vor allem in Wasserbüffeln bemessen. Je mehr man davon opfern kann, ob zu Trauerfällen, Geburten oder Fußballspielen, desto cooler ist man, vereinfacht ausgedrückt. Wie in Indien bei den Hochzeiten pervertiert dieses System zu immer neuen Höhen. Familien verschulden sich auf Lebenszeit, um ein paar Büffeln (je 2000€) die Kehle durchschneiden und ihr Fleisch dann ans Dorf verteilen zu können. Unser Begräbnis gehört mit "nur" acht davon und Unmengen an Schweinen noch zu den kleinen. Das Minimum für die Oberschicht sind beispielsweise 24 Büffel.
Zumindest am heutigen Tag ist das Töten und Zerlegen der Tiere neben dem Empfang der Gäste auch der einzige Programmpunkt. Die vielleicht zwanzig damit beschäftigten Männer waten barfuß durch den Matsch aus rohem Fleisch und Blut und naschen während der Arbeit auch mal vom rot verschmierten Plätzchenteller, von Aufregung oder gar Widerwillen keine Spur. Immerhin werden seit 100 Jahren keine Menschen mehr geopfert, insofern ist dieser martialische Ritus schon ein Fortschritt. Während die Familie in wunderschöner Festtagskleidung anmutig die Gäste bewirtet, verdirbt uns die Mischung aus Kuhdung, Schlachthaus und Verwesung geruchlich den Appetit. Zumindest etwas Reis mit Gemüse und der schärfsten natürlichen Chilisoße meines Lebens kriege ich hinunter, bevor wir den Schauplatz des Massakers verlassen. Danach besuchen wir noch einige mehr oder weniger interessante Schauplätze der Torajakultur, darunter diverse Gräber (in Bäumen, in Höhlen, hängend...) und die charakteristischen Wohnhäuser und Reisspeicher mit den sichelförmigen Dachkonstruktionen aus Bambus und neuerdings Wellblech (was ihrer Ästhetik weniger schadet, als man meinen würde). Zumindest architektonisch sind die Leistungen der Toraja wirklich beeindruckend für ein Stammesvolk. Nachdem wir zurück am Hotel sind, beschließen Eva und ich noch einmal zu einer Patisserie zu fahren, die wir an der Hauptstraße entdeckt haben. Leider findet sich nur die übliche Backware unter anderem Siegel mit höheren Preisen. Das Abendessen überzeugt dagegen auf ganzer Linie, Indonesier sind Genies im Marinieren von Fleisch. Eva hat weniger Glück, wobei ich mir von einer Spargelsuppe in Südostasien nie zu viel erwarten würde.
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