Mittwoch, 4. Juni 2014

Auf eigenen Rädern

234. 4.6.2014

Mein internationaler Führerschein zahlt sich also doch noch aus! In Indien habe ich mich nie getraut, die Gegend mit einem Roller zu erkunden. Jede Busfahrt war ein warnendes Beispiel und dass Socke bei ihrem Experiment eine Mülltone umgefahren und mich nähere Bekanntschaft mit einem fahrenden Auto schließen lassen hat, war meinem Selbstvertrauen auch nicht gerade zuträglich. Sulawesi hat dagegen traumhafte Zustände. Die Straßen sind zwar etwas löchrig und baufällig, aber der Verkehr verdient hier seinen Namen, Regeln werden befolgt und sogar mit einem Motorroller ist man nicht vollkommen vogelfrei. Bei einer Leihgebühr von 6€ pro Maschine inklusive vollem Tank nur logisch, dass wir uns mal auf zwei Rädern versuchen müssen. Ich bin bisher zwei Runden um den Block mit dem Automatikroller meines Vaters gefahren und damit immerhin zwei Runden mehr als Eva, die noch nie auf einem saß, zumindest als Fahrerin. Zuerst müssen uns die Besitzer die Funktionsweise einer Semiautomatik erklären und uns bei der Gelegenheit gleich noch zeigen, wie man das Teil überhaupt anlässt. Doch wir scheinen uns mehr Sorgen zu machen als sie. Tatsächlich: Sobald man fünf Minuten auf der Straße ist, gelingt die Bedienung wie von selbst.
Unser etwas größenwahnsinniger Plan ist die Umrundung des Danau Poso, der zwei Drittel der Fläche des Bodensees hat, im Gegensatz dazu aber nur eine im besten Fall geteerte, einspurige Straße, die ihn umzirkelt. Im schlechtesten Fall wird daraus ein mit Pfützen und Schlaglöchern getüpfelter Schotterweg, der navigatorisch einiges abverlangt. Eva stellt fest, dass der Straßengraben auch keine Alternative ist, nachdem sie ihr Motorrad zielstrebig hineindirigiert hat. Diese Trotzreaktion wider der Straßenführung ist der Tatsache geschuldet, dass man anfangs beim ruckartigen Losfahren den Gashebel instinktiv umklammert hält und so immer schneller wird. Mit zwei Indonesiern holen wir den Roller aus dem eineinhalb Meter tiefen, überwucherten (nur der Vollständigkeit halber, eigentlich ist hier jeder freie Fleck Erde überwuchert) Graben. Eva scheint unglaublicherweise ohne größere Blessuren davongekommen zu sein, genauso wie die Maschine selbst. Wir finden kurz darauf ein paar schöne Cottages mit Restaurant und Strand am See, wo sie sich von ihrem Schock erholen kann. Nach Nasi Goreng und Ananassaft fahren wir die Westseite des Sees hinunter auf einem nicht immer gut erhaltenen, aber wunderschönen Sträßchen. Es führt durch hügeligen Regenwald und viele kleine Dörfer, interessanterweise christlich, buddhistisch, aber nicht muslimisch geprägt. Während sich in Deutschland die Straßenplanung nach den Ansiedlungen richtet, wird dieses Prinzip in Entwicklungsländern gerne ins Gegenteil verkehrt. Eine Straße (besonders geteert!) bringt Waren, Menschen und Mobilität. Kein Wunder, dass sich an ihr wie an einer Perlenschnur Häuser und Hütten aufreihen. Wo wir anhalten, sorgen wir für große Verwunderung und Belustigung. Zwei Weiße sieht man nicht alle Tage. Gegen Ende gibt sich die Straße versöhnlich, statt Schlaglöchern und Matsch haben wir ein astreines Teerband vor uns, dass am Südende des Sees in die Hauptstraße mündet. Hier kann ich endlich ausprobieren, wie sich 100km/h auf zwei Rädern anfühlen. Uns stehen zwei Rückwege zur Wahl. Entweder wir fahren erneut auf einem kleinen Sträßchen direkt am Ostufer entlang und riskieren, erst spät abends anzukommen, oder wir nehmen die weniger schöne, aber schnelle Hauptstraße. Wir entscheiden uns für Option eins, bis wir nach etwa 45 Minuten darauf hingewiesen werden (Kommunikation findet hauptsächlich auf Basis von Handzeichen statt), dass der Weg später unpassierbar werde. Also wieder zurück auf der landschaftlich zugegebenermaßen wunderschönen Strecke. Was der Hauptstraße in dieser Hinsicht fehlt, macht sie durch ihre unzähligen Kurven und Hügel wett. Solange es hell ist, fahre ich auf der sonst leeren Piste mit einem Van um die Wette. Problematisch wird es mit dem Einbruch der Dunkelheit, denn von unseren Standards ist der Belag trotzdem weit entfernt, Schlaglöcher oder ausgewaschene Stellen können immer auftauchen, was ich ein oder zwei mal deutlich im Beckenbereich zu spüren bekomme. Dazu kommt, dass Eva unsicherer fährt, wohl auch, weil sie im Nachhinein merkt, dass sie sich am Handgelenk verletzt haben muss. Die letzten zwei Stunden im Stockdunklen (ab halb sieben) müssen für sie eine echte Zerreißprobe sein, zwischendurch ist die Straße nur noch eine glitschige Schlammspur und entgegenkommende Laster machen einem das Leben schwer. Umso größer die Erleichterung, als aus der absoluten Dunkelheit die ersten Lichtfunken der Ausläufer Tentenas auftauchen. 200km haben wir am Ende des Tages auf unseren Tachos und nach dieser Lektion wird Rollerfahren in Deutschland das reinste Kinderspiel sein. Evas Handgelenk ist von der eher ungünstigen Dauerbelastung nach dem Sturz mittlerweile bedrohlich angeschwollen, aber mit etwas Eis kann sie immerhin schlafen. (Spoiler: Nichts gebrochen.)

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