185. 8.4.2014
Ich war ein wenig gemein zu Chandigarh und möchte mich entschuldigen. Der Unterzucker und das Hoteldesaster haben meine Stimmung nachhaltig vermiest. Nicht so diesen morgen. Auch wenn ich 40 Minuten dafür brauche, schließlich habe ich das Indian Coffee House gefunden. Durch ihr Mobiliar, das in jeder Filiale aussieht, als wäre es aus Kolonialrestbeständen zusammengeklaubt, weiß man bei dieser altehrwürdigen Fast-Food Kette nie, ob sie vor der Insolvenz steht oder eine besondere Vorstellung von Charme hat. Ersteres wäre extrem schade, denn abgesehen davon, dass es in Nordindien der einzige Ort ist, wo ich vernünftige Dosas zum Frühstück bekomme, haben sie auch sehr faire Preise und ein Publikum vom jungen, gegelten ITler mit zwei Smartphones auf dem Tisch bis zu kaffeeschlürfenden Opas mit Gehstock. Nach einem Masala Dosa besuche ich ausnahmsweise mal das Touristenbüro, da man für Chandigarhs Hauptattraktion, das von Le Corbusier konzipierte Regierungsviertel, theoretisch einen Einladungsbrief benötigt. Von dem Angestellten erfahre ich, dass heute ein gesetzlicher Feiertag ist. Da diese für Privatunternehmen nicht verbindlich sind, kriegt man davon nicht unbedingt etwas mit. Im Übrigen wurde heute Rama, eine Inkarnation von Vishnu, geboren. Jedenfalls kriege ich weder einen Brief noch Zutritt. Theoretisch. Nachdem mein Weg mich über Kilometer durch gepflegte, grüne Parks geführt hat (mit markierten Joggingstrecken - unvorstellbar!), statte ich dem Viertel doch einen Besuch ab und werde von den Polizisten an der Zugangsschranke sofort hereingewunken. Ein wenig freundlicher Smalltalk und vergessen sind die umständlichen Regularien. Im Inneren wollen Polizisten und Soldaten meinen Brief noch mehrmals sehen, aber jedes Mal geben sie sich auch mit einer Entschuldigung sowie einigen Sätzen über meine Herkunft zufrieden. Wenn in Indien Offizielle irgendeinen Schein von Touristen verlangen, wollen sie im schlimmsten Fall etwas Bestechungsgeld, im Normalfall einfach nur quatschen. Die Regierungsgebäude selbst finde ich nebenbei gesagt potthässlich, aber bei Corbusier, also Brutalismus, hatte ich auch mit nichts anderem gerechnet. Eisenbetongrau wohin man blickt, umso deplatzierter, da von einer Parkanlage umgeben. Das kommt davon, wenn man meint, alles supereffizient separieren zu müssen. Weiter geht es in den Rock Garden, eine Fantasiewelt mit interssanter Geschichte. Aufgebaut wurde er von Nek Chand fast im Alleingang während der 60er und 70er Jahre. Dieser floh während der Teilung aus dem designierten pakistanischen Teil des Punjabs nach Chandigarh, wo seine Eltern kurz darauf verstarben. In seinem Beruf als Straßeninspektor begann er, Müll zu sammeln und ihn in einem abgelegenen Waldstück mit Zement zu Skulpturen und Landschaften zu formen. Als er aufflog, stand sein Projekt kurz vor dem Aus bzw. Abriss, letztendlich konnte er die Stadtverwaltung dann aber überzeugen, seinen Rock Garden nicht nur zu erhalten, sondern auszubauen. Heute ist er eine der Hauptattraktionen Chandigarhs, und das vollkommen zurecht.
Unweit davon ist ein künstlicher See gelegen, umgeben von einem weiteren Park. Mit all den Joggern um mich werde ich halb verrückt und beginne schon nervös mit den Füßen zu trippeln. Was würde ich für meine Laufschuhe geben! Von hier fahre ich mit dem Bus unkompliziert zu meinem Hotel zurück und habe meine Meinung über die Stadt doch noch revidiert. Sie ist zwar unstimmig, unindisch und irgendwie falsch, aber gleichzeitig, grün, ruhig und neben Bangalore das lebenswerteste Plätzchen auf diesem Subkontinent, das ich bisher entdecken konnte.
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