Samstag, 19. April 2014

Keine Langeweile

195. 18.4.2014

Nach einer halben Stunde finde ich eine freie Liege für uns (der Jeansindikator hat sich wieder einmal bewiesen, die junge Inderin, die ich gefragt habe, verstand unsere Situation sofort und hat versucht zu helfen). Eine Liege wohlgemerkt. Doch zu irgendwas muss es ja gut sein, wenn Eva und ich so dünn sind. Trotzdem halte ich die Behauptung, Löffelchenstellung sei eine wunderschöne, romantische Erfahrung, für frei erfunden. Vielleicht von Indian Railways mit ihrer "Shared Berth Policy". Wir schaffen es zwar, uns irgendwie auf die Liege zu quetschen, aber Schlaf finde ich (im Gegensatz zu Eva) so schnell keinen. Das nutzt der Schaffner dazu, mich gestikulierend und mit Taschenlampe zum Bakschisch zahlen aufzufordern. Da er rein gar nichts getan hat, um uns ein Bett zu organisieren, spiele ich den ahnungslosen, dummen Westler und werde dabei immer lauter, bis er nervös abwinkt. Kurz darauf entdeckt Eva, dass eine weitere Liege frei geworden ist und wir schlafen immerhin vier Stunden, bevor wir in Gorakhpur ankommen. Von dort sind es weitere zweieinhalb Stunden bis zur Grenze, die an unseren Nerven kratzen, da laut Reiseführern die letzten Busse nach Kathmandu auf nepalesischer Seite um elf Uhr abfahren. Eine halbe Stunde nach diesem Ultatum stehen wir an der Grenze und lassen uns ausstempeln. Auf der Gegenseite erwartet uns zwar keine andere Welt, zumindest aber eine andere Atmosphäre. Schlagartig halbiert sich die Anzahl der Menschen, von den Fahrzeugen ganz zu schweigen. Das Beste: Kein Lärm und kaum Dreck. Nur der plötzliche Temperaturabfall um 15 Grad, den wir uns verschwitzt bis durchnässt auf indischer Seite gewünscht hatten, tritt leider nicht ein. Nach unproblematischer Visabeschaffung, bei der die Grenzpolizisten einen sympathischen Vorgeschmack auf die angeblich nettesten Menschen dieser Welt geben, wird uns ein Shuttle Service nach Kathmandu in einem Transporter für umgerechnet 7,50€ angeboten. Das muss man sich einmal vorstellen! Natürlich finden wir einen günstigeren Bus mit leidlich ausreichender Beinfreiheit für etwa 4€ pro Person. Die vermeintlichen fünf Stunden Fahrzeit können wir angesichts der sechs Stunden, die der Shuttle benötigt hätte, nicht ganz glauben, aber dass es gleich elf werden, hätten wir auch nicht erwartet. Nach mehreren Reifenpannen, einigen netten Bekanntschaften, einem super Abendessen und körperlich bewegenden Straßenverhältnissen kommen wir um halb eins nachts in Kathmandu an - und haben nichts bemerkt. Es ist dunkel. Nicht Großstadt-in-der-Nacht-dunkel, sondern finster. Die Hauptstadt Nepals hat nach wie vor keine Straßenbeleuchtung, nirgends. Hin und wieder zischen Autos vorbei, ansonsten gibt es keine Lebenszeichen. Dieses eine Mal wäre ich froh gewesen über ein nervtötendes Heer von Schleppern. Eines der vorbeifahrenden Autos stellt sich schließlich als Taxi heraus und nimmt uns mit ins Stadtzentrum. Auch hier, abgesehen von zwei Straßenzügen, Dunkelheit und Menschenleere. Außerdem kein einziger freier Raum, alles voll bzw. abgeschlossen und verriegelt. Eva läuft schließlich in eine dunkle Nebengasse, aus der ich sie schon zurückholen will, als sie unsere Rettung in Form eines Hotelboys findet. Auch dieser hat wie alle anderen kein Zimmer mehr, bietet uns aber an, auf seiner Dachterasse zu übernachten. Zuerst zögerlich, dann aber mehr und mehr begeistert von dieser Idee, schaffen wir unsere Rucksäcke hoch. Das Bettzeug müffelt ein wenig, aber was sollen wir nach vierzig Stunden in Bussen und Zügen bei Temperaturen um 35 Grad sagen? Wir haben den Himmel über uns und eine ausgestorbene, lichtlose Millionen- und Hauptstadt um uns, während wir innerhalb von Minuten in tiefen Schlaf sinken.

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