Donnerstag, 3. April 2014

Der Goldene Tempel

178. 1.4.2014

Nicht so schön, alleine zu sein. Vor allem, wenn man im Dunklen durch eine neue Stadt laufen muss. Also lasse ich mir Zeit, trinke einen Tee und esse ein paar Cookies am Bahnhof, bevor ich mich auf den Weg durch Amritsar zum Goldenen Tempel aufmache. Der Reiseführer hat Recht: Die Stadt ist nicht schön. Zumindest, bis man in die Nähe des Tempels kommt. Die Atmosphäre ändert sich spürbar, von den umgebenden Gebäuden ganz zu schweigen. Fast alles ist weiß, sauber und imposant groß. Inmitten eines klaren(!) Sees steht der goldene Tempel. Er ist wirklich golden, nur hatte ich ihn mir immer viel größer vorgestellt. Egal, auch so übt er eine stärkere Ausstrahlung als beispielsweise das Taj Mahal aus. Unterkunft findet sich heute, Premiere, in einem Schlafsaal. Der kostet gar nichts, weil er von der Tempelverwaltung für Ausländer zur Verfügung gestellt wird. Jede Überlegung, doch ein eigenes Zimmer zu nehmen, wird von dem Australier, der hier alle Neuankömmlinge empfängt, im Ansatz zerstreut. Liebevoll fährt er mir über den Mund und hat mir alles erklärt sowie ein Bett zugewiesen, bevor ich Bedenken äußern kann. Direkt im Anschluss führt er durch das Tempelgelände, das komplett frei zugänglich ist. Dazu gehört auch die größte "Kantine" der Welt. 50 000 - 100 000 Pilger und Besucher versorgt die Tempelspeisung tagtäglich und umsonst. In der Küche sind Fließbänder für Chapatis und Töpfe mit mehreren Metern Durchmesser, in denen Chai, Dal und Paneer köcheln. Jeder der will kann mithelfen, nur die wenigsten in der Küche sind angestellt. Nach der Theorielektion gehen wir dort frühstücken. In zwei Hallen werden im Viertelstundentakt tausende Menschen versorgt und das mit erstaunlich wenig Gerangel und Hektik. Es gibt Chapati, Reis, scharfes Dal und ein Curry mit Paneer-Ansätzen. Danach nimmt die Müdigkeit überhand und ich schlafe doch noch zwei Stunden. Am Nachmittag fahre ich, zusammen mit zwei Amerikanern, einer Engländerin, einer Brasilianerin, einer Portugiesin und einer Slowenin zur indisch-pakistanischen Grenze, wo zu jedem Sonnenuntergang die Tore in einem Ritual geschlossen werden. Auf beiden Seiten gibt es Zuschauertribünen für das Spektakel, dieser Punkt geht allerdings an Pakistan mit seiner amphitheaterartigen Empore. Dafür haben wir die eindeutig höhere Zuschauerzahl. Der Platz reicht wie immer nur unter größtem Gedränge aus. Als Ausländer dürfen wir uns immerhin auf eine seperate Tribüne quetschen. Zuerst einmal scheinen die zwei Atommächte ihre Soundanlagen vergleichen. Aus den Boxen scheppern Bollywoodschlager, während Kinder mit Indienflaggen umherrennen. Danach dürfen alle Frauen nochmal auf die Straße und tanzen (ich gehe davon aus, dass man dem streng islamischem Pakistan zeigen will, was liberal bedeutet - dort sitzen die Frauen zumeist vollverschleiert auf einer eigenen Tribüne) und schließlich geht es los. Unter viel Gejohle und Schreien stolzieren die Soldaten beider Seiten nach einem perfekt umgesetzten Plan fast symmetrisch auf der Grenzstraße umher. Dabei wird unter anderem um den lautesten sowie den längsten Schrei gefochten, den höchsten Stechschritt und das abgehakteste Gehopse. Höhepunkt ist das Abhängen der Fahnen, wobei keine zu keinem Zeitpunkt unter der anderen hängen darf, das wäre ein eindeutiges Zeichen von Schwäche. Wir sind uns einig: Solange es nicht das eigene Land ist, ziemlich witzig. Unser Rückweg führt uns vorbei an einem Hindu Tempel, der eher einem Abenteuerspielplatz gleicht. Ein Rundweg führt durch hüfthohe Höhlen und Spiegelkammern voll mit Götterdarstellungen. Da bin ich froh, kurz darauf wieder beim goldenen Tempel zu sein, der in der Dunkelheit noch unglaublicher aussieht. Als würde er schwimmen. Mir fällt keine Sehenswürdigkeit in Indien ein, die mich so sehr beeindruckt hat. Dazu trägt sicher bei, dass im Tempel keine touristische Ausverkaufsstimmung, sondern nach wie vor eine religiöse Atmosphäre herrscht. Ich freue mich schon auf den Sonnenaufgang...

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